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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Granhus
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gesagt?«
    Der Alte schien erstaunt über die Frage. »Halbersoffene sagen nicht viel. Was sollte der schon sagen? Er wirkte ja auch ein bisschen runtergekommen. Außerdem zitterte er wie ein wabbeliger Dorsch, der zu lang in der Lauge gelegen hat. Der hat fast bloß unzusammenhängendes Gestöhne von sich gegeben.«
    »Gar nichts irgendwie Sinnvolles dabei?«
    » Helft mir. Das war sicher sinnvoll. Und das hab ich ja auch gemacht – ich hab ihm geholfen, so gut ich konnte.«
    »Aber kein Hinweis, wer oder warum?«
    »Nichts, was ich hätte deuten können.«
    Rino watete wieder an Land und setzte sich auf einen Stein. Es fühlte sich an, als hätten sich seine Füße von ihm verabschiedet. »Können Sie mir zeigen, wo die beiden Jungs wohnen?«
    »Ich kann Sie bis vor die Haustür fahren, wenn Sie wollen.«
    Rino steckte die Socken in die Tasche, manövrierte seine steifgefrorenen Füße vorsichtig in die Holzclogs und sah sich noch einmal um. Von hier aus nahmen einem die aufragenden Felsen jeden Blick auf bewohntes Gebiet. Nur glatter Fels und offenes Meer.
    »Eigentlich schon ein komischer Zufall …« Sedeniussen zupfte an einem roten Ohrläppchen.
    »Was denn?«
    »Sind Sie aus der Stadt?«
    »Geboren und aufgewachsen in Bodø, ja.«
    »Dann haben Sie wahrscheinlich von den Schiffbrüchen der Hurtigruten gehört.«
    Er nickte.
    »Der erste war 1924. Damals sind zwei Schiffe der Hurtigruten kollidiert, sechs Seemeilen nördlich vor Landegode. Der Unfall kostete immerhin nur sieben Menschenleben. Aber dann 1940 kam es wesentlich schlimmer. Die Prinsesse Ragnhild , die gerade in nördlicher Richtung unterwegs war, explodierte und sank kurz vor diesem Fjord hier. Die Ursache der Explosion wurde nie festgestellt, aber es deutet vieles darauf hin, dass das Schiff auf eine Seemine gestoßen ist. Dreihundert Menschen kamen ums Leben, und die Überlebenden wurden von Booten aufgesammelt, die schnell zur Unglücksstelle gefahren waren. Am Morgen danach, als man nach Wrackteilen und Toten suchte, wurde einer von den Smutjes hier gefunden, genau an der Stelle, wo wir jetzt stehen. Das war im Oktober. Kein Mensch überlebt mehr als eine halbe Stunde im eiskalten Meerwasser. Der Junge hat es trotzdem geschafft. Der hat überlebt, obwohl er eigentlich gar keine Chance gehabt hätte.«

4
Bergland
    Die Morgensonne schien schräg durch das Fenster herein und wurde von einem weiß und schwarz lackierten VW -Käfer reflektiert. Der Polizist Niklas Hultin blickte fasziniert auf das Regal seines Kollegen, auf dem ein Miniatur-Polizeiauto zwischen Pokalen von Schützenwettbewerben und einem Stapel mit alten Rundschreiben stand.
    »Ist das unser guter alter Pelle?«
    »Jupp. Polizeiauto Pelle höchstpersönlich. Den hab ich mal geschenkt bekommen. Irgendwie finde ich ihn zu schade zum Wegräumen. Der ist doch schön, oder?«
    »Da krieg ich richtige Onkel-Polizist-Gefühle.«
    »Willkommen in der Welt der Fahrraddiebstähle.«
    »Genau das hatte ich mir vorgestellt, als wir hierhergezogen sind.«
    Karianne hatte über das letzte Jahr hinweg kleine Hinweise fallen lassen. Erst behauptete sie, dass ihre Wurzeln sie nordwärts zogen, später war es das schlechte Gewissen, weil sie sich eigentlich besser um ihren kränklichen Vater kümmern müsste. Als dann eine Stelle bei der örtlichen Polizei frei wurde – jemand hatte ihr einen anonymen Brief mit einer ausgeschnittenen Anzeige aus der Zeitung Nordland geschickt –, gab es im Grunde keinen Weg zurück. Es bestand kaum ein Zweifel, dass ihr Vater selbst der Absender gewesen war, obwohl er sich dumm stellte, wenn sie etwas in dieser Richtung andeutete. Ihre Entscheidung war schnell getroffen.
    Niklas arbeitete inzwischen schon ein paar Wochen hier, und bis jetzt gestaltete sich der Job genau so, als wäre er der Welt von Polizeiauto Pelle entnommen: ein Einbruch und ein Dorffest, das ein bisschen aus dem Ruder gelaufen war. Und im Laufe der Nacht – gleich noch ein Einbruch, diesmal bei dem Polizisten, der ihm gegenübersaß.
    »Bist du sicher, dass nichts fehlt?«
    Amund Lind zuckte gleichgültig mit den Schultern. Es wäre eine Lüge gewesen, wenn man behauptet hätte, dass man seinem Kollegen die Jahre nicht ansah. Lind war schon fast siebenundvierzig, und obwohl er noch lange nicht abbaute, war nicht zu übersehen, dass da langsam etwas Ältliches durchschimmerte, verstärkt durch seine markanten Gesichtszüge und die beginnende Glatze. Dazu kam die rote, gereizte Haut auf
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