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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Granhus
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der nettere. Und heute bin ich die Vertretung.«
    Zustimmendes Nicken.
    »Bitten Sie den Doktor, die Uhr noch mal auf Null zu stellen.« Er schenkte der Krankenschwester ein breites Lächeln. Erfahrungsgemäß schmolzen da selbst die standhaftesten Frauen dahin.
    »Ich werde mich kurz fassen. Oft ist es ja so: Wenn einer unserer fünf Sinne außer Gefecht gesetzt ist, in Ihrem Fall also das Sehen, werden die anderen Sinne geschärft, und dann bemerkt man Sachen, die man sonst vielleicht nicht wahrgenommen hätte. Worauf ich hinauswill, ist, dass Sie wahrscheinlich Hinweise auf den Täter haben, ob Ihnen das nun bewusst ist oder nicht. Vielleicht hatte er einen speziellen Geruch, vielleicht können Sie aufgrund der Art, wie er Sie gepackt und getragen hat, schließen, ob es ein großer Mann war. Tonfall und Dialekt wären andere typische Kennzeichen.«
    »Er war stark.«
    »Das ist schon mal ein Hinweis.«
    »Sehr stark.«
    »Gut. Wie kommen Sie darauf?«
    »Während er … mich fesselte, hielt er mich fast die ganze Zeit nur mit einer Hand fest.«
    Der Kommissar spürte zum ersten Mal eine gewisse Hoffnung aufkeimen.
    »Ich habe etwas gestreift, was sich wie Gummi anfühlte, und nahm an, dass es so eine Art Neoprenanzug war.« Der Verletzte schluckte schwer. »Ich hatte Angst, dass er vorhat, mich zu ertränken.«
    An manchen Stellen konnte Rino etwas von dem Grauen spüren, das der Mann durchlebt haben musste. Denn wenn es einen Schatten in dem ansonsten so unbekümmerten und harmonischen Gemüt des Kommissars gab, dann war es seine Angst vor dem Ertrinken. Den Tod an sich fürchtete er nicht, vorausgesetzt, er kam erst in ungefähr fünfzig Jahren, und er hatte auch keine Angst davor, wie ihn der Tod ereilen würde. Wenn er nur nicht ertrank. Allein der Gedanke, solche Mengen an Wasser zu schlucken, machte ihn völlig fertig.
    »Er sagte etwas … flüsterte mir was ins Ohr.«
    »Und zwar?«
    »Irgendwas mit Jus.«
    »Was mit Jus?«
    »Jus Talons oder Talions. Irgendwas in der Richtung.«
    Rino machte sich eine geistige Notiz, dass er einen befreundeten Anwalt anrufen musste. Wenn dieser Ausdruck tatsächlich aus dem juristischen Bereich stammte, wusste er vielleicht, was er zu bedeuten hatte. »Okay, ich werde Sie jetzt nicht weiter quälen. Aber wenn Ihnen noch etwas einfällt, zögern Sie nicht, Kontakt zu mir aufzunehmen. Okay?«
    Die Unterlippe des Mannes begann wieder verdächtig zu zucken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die erlittene Ungerechtigkeit ihren Tribut an stillen Tränen fordern würde. »Ich habe gedroht und gebettelt, geweint und geflucht, aber nichts drang zu ihm durch. Er hat mich einfach angekettet und allein dort sitzen lassen … der Wind kam von vorn, aber ich rief ihm nach, dass er den falschen Mann erwischt haben musste, ich rappelte ihm die Namen und Nummern von meinen Eltern und mir herunter, aber er war schon weg.«
    Rino stand auf. Der arme Kerl hatte vorerst genug Erniedrigungen einstecken müssen. Aber eines stand fest: Irgendwo musste der Ursprung für diesen Hass liegen, der sich zu einem solch enormen Auswuchs gesteigert hatte. Während er die Tür hinter sich schloss, tauchten die Textzeilen von einer abgespielten Kassette wie ein entferntes Echo in ihm auf.
    Evil walks …
    Die Zeichnung bestand aus insgesamt acht Strichmännchen verschiedener Größe, das größte in der linken Ecke. Je eine Linie oben und unten sollte wohl andeuten, dass die Figuren sich in einem Zimmer befanden. Ansonsten war das Zimmer aber leer, es gab nur ein rechteckiges Fenster, oder vielleicht auch, wie ein Kollege vorgeschlagen hatte, eine Schultafel. Die Figuren waren so vereinfacht gezeichnet, dass man unmöglich feststellen konnte, ob sie Männer oder Frauen darstellen sollten. Ein paar der Figuren standen sich gegenüber, andere abgewandt. Und ganz unten in der linken Ecke – die Initialen D.V.
    Rino saß an Bord des Hurtigruten-Schiffes Norfolda und war auf dem Weg nach Landegode. Die Zeichnung, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte, war nur eine Kopie. Das Original hatte man zur kriminaltechnischen Untersuchung eingesandt, aber er war nicht besonders optimistisch und erwartete kaum, dass man andere Fingerabdrücke finden würde als die der an der Bergung beteiligten Personen. Schon die erste Zeichnung hatte man damals gründlichst untersucht, ohne dass man irgendetwas fand, was die Ermittlungen weitergebracht hätte.
    Er leerte seine Colaflasche, hielt sich die Hand vor den Mund, um
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