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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Autoren: Frode Granhus
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kaum, bis der Schaden angerichtet ist. Zum Beispiel im Gesicht, wo die Haut eher abgehärtet ist. Die Hände sind dagegen viel empfindlicher, als die meisten denken, und Erfrierungen, die man sich in eiskaltem Wasser holt, sind etwas ganz anderes als solche, die man sich bei beißendem Wind zuzieht. Bei der Einlieferung meinte der Kerl zunächst, er hätte die größten Schmerzen seines Lebens durchlebt.«
    »Wieso ›zunächst‹?«
    »Bis ihm das Blut wieder in die erfrorenen Adern strömte. Millionen von Nadelstichen auf empfindlichen Nervenbahnen.«
    Rino wusste, was es hieß, an den Händen zu frieren. Im Winter war sein Volvo launisch. »Können Sie sagen, wie lange er so mit den Händen unter Wasser dastand?«
    »Zu lange. Es besteht die Gefahr, dass es zu bleibenden Schäden gekommen ist. Schlimmstenfalls reden wir von Amputation, auch wenn es natürlich noch zu früh ist, dazu etwas zu sagen.«
    »Aber wir reden schon von mehreren Stunden?«
    »Definitiv.«
    Der Kommissar spürte, wie er selbst zu frösteln begann.
    »Können Sie mich wohl zu ihm bringen?«
    »Da wäre noch etwas. Der Zustand des Patienten bei der Einlieferung war fast schon psychotisch zu nennen.«
    »Und jetzt …?«
    »Er reagiert adäquat, aber er braucht Abstand zu seinem Trauma, er sollte das jetzt nicht noch einmal durchleben müssen. Wie gesagt, maximal zehn Minuten.«
    Sie durchquerten zwei Korridore, bevor ihm der Arzt ein Zeichen gab, stehen zu bleiben, und den Kopf durch eine Tür steckte. Sekunden später huschte eine Krankenschwester mit lautlosem Gruß an ihnen vorbei. Der Arzt tippte noch einmal mahnend mit dem Finger auf seine Armbanduhr und öffnete Rino dann die Tür.
    Das Kopfende des Bettes war hochgestellt, so dass sich der Patient in halb sitzender Position befand. Seine Hände waren verbunden und lagen auf einem Gestell. Der Mann, der als Kim Olaussen identifiziert worden war, sah ihm entgegen, doch sein Blick schien durch ihn hindurch in weite Ferne zu gehen.
    Rino zog den Besucherstuhl ans Bett und setzte sich.
    »Ich heiße Rino Carlsen und arbeite für die örtliche Polizei. Lassen Sie sich von meiner Kleidung nicht täuschen, man hat mich von zu Hause hertelefoniert.«
    Der Blick des Mannes blieb unverändert.
    »Wäre es okay, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle?«
    Immer noch keine Reaktion.
    »Der junge Mann im weißen Kittel hat mir zehn Minuten gegeben. Wenn er ein Prinzipienreiter ist, dann hab ich sogar bloß noch neun. Ist es in Ordnung, wenn ich gleich zum Thema komme? Wenn ja, dann gehen wir doch gleich zur grundlegenden Frage: Wissen Sie, wer hinter diesem Verbrechen steckt?«
    Die Unterlippe des Mannes zuckte, bevor er ein heiseres »Nein« ausstieß.
    Vor ungefähr drei Jahren war etwas ganz Ähnliches passiert. Auch damals war ein Mann mit den Händen unter Wasser festgekettet worden, nachdem man ihn von zu Hause entführt hatte, in Kapuze und Handschellen. Bis heute war niemand für dieses Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden, und von allen ungelösten Fällen machte Rino dieser am meisten zu schaffen. Daher hatte es sich angefühlt wie eine höhnische Erinnerung, als er erfuhr, was draußen auf Landegode geschehen war.
    »Können Sie mir erzählen, was passiert ist?«
    Der Blick des Mannes wirkte so abwesend, dass er seine Frage wiederholte.
    »Ich bin niedergeschlagen worden …« Die Stimme kam dumpf und schwach. Wahrscheinlich war er bis an die Grenzen mit Schmerzmitteln vollgepumpt. »Wollte gerade Feierabend machen und schließen.«
    Erst da begriff Rino, dass der Mann wahrscheinlich Schwierigkeiten beim Sprechen hatte. Seine Stimmbänder waren immer noch strapaziert von seinen verzweifelten Hilfeschreien. »Wo arbeiten Sie denn?«
    »Im Kjelleren.«
    Also in einer der etwas finstereren Kneipen von Bodø. »Waren Sie allein?«
    Ein unmerkliches Blinzeln und ein trauriger Gesichtsausdruck gaben Rino zu verstehen, dass dieser Mann mutterseelenallein auf der Welt war. »Ich räume nur das Gröbste auf, bevor der Kollege am Vormittag seine Schicht antritt.«
    Das Gröbste. Vor Rinos innerem Auge erschienen längst verdrängte Bilder von den Wochenendsauftouren seiner Jugend.
    »Mit anderen Worten, es hat sich also jemand im Lokal versteckt?«
    Es dauerte ein Weilchen, bis die Antwort kam. »Das muss er wohl so gemacht haben.«
    »Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ich war auf der Stelle weg.«
    »Und als Sie wieder aufgewacht sind?«
    Wieder dieser weit entfernte Blick. »Mir war schlecht, ich
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