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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif
Autoren: Guillaume Prévost
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wohl, du hast mich reingelegt, kleiner Faulkner?«, knirschte er mit einer Grabesstimme. »Du glaubst wohl, du kannst mich loswerden und wieder abhauen, als wäre nichts gewesen, was? Irrtum, Kleiner . . . Was auch passiert, meiner Rache wirst du nicht entkommen. Adieu, kleiner Faulkner . . .« Er runzelte angestrengt die Stirn und umklammerte mit steifen Fingern den Griff des Revolvers. Er hielt ihn immer noch auf Sam gerichtet. Seinen zuckenden Arm mit der anderen Hand abstützend, schaffte er es sogar, die Waffe einigermaßen ruhig zu halten. Doch in dem Moment, als er abdrücken wollte, erhellte ein plötzlicher Lichtblitz den Raum. Samuel nahm zunächst an, ein Schuss hätte sich gelöst, doch der Knall blieb aus. Als er in die Helligkeit blinzelte, wurde ihm klar, dass der weiß glühende Blitz von niemand anderem ausging als vom Tätowierten selbst . . . Auf spektakuläre Weise hatte er sich in einen leuchtenden Geysir verwandelt, dessen menschliche Züge nur noch undeutlich zu erkennen waren, während er eine Flut winziger weißer Partikel in die stickige Luft der Grabkammer sprühte. Rudolf war soeben implodiert! Die Hülle seines Körpers, die er eben noch unter enormen Anstrengungen zusammengehalten hatte, war geplatzt! Er war nur noch ein glühendes Energiebündel, das seine Substanz verzehrte, die Atome, aus denen er vorher zusammengesetzt gewesen war, zerstoben in einer glühenden Wolke. Jetzt bezahlte er seine Verachtung den Menschen und der Zeit gegenüber mit seinem Leben!
    Ihm gegenüber, im Eingang des Tunnels, ließ sein jugendliches Double entsetzt die Sturmlaterne fallen und rannte, unverständliche Rufe ausstoßend, Hals über Kopf durch den Gang davon. Doch Samuel konnte die Augen nicht von dem Schauspiel abwenden. Es war wie eine Warnung, die sich für immer in sein Gedächtnis brannte: niemals, niemals die Macht des Sonnensteins zu unterschätzen . . .
    Kurz darauf versiegte der Energieausbruch, nachdem auch die letzten Partikel verzehrt waren und der Körper sich in Luft aufgelöst hatte. Dann war es wieder still in der Grabkammer. Dort, wo Rudolf eben noch gestanden hatte, war nur ein unförmiger Haufen Leinenfetzen zurückgeblieben, eine lächerliche Waffe und ein glitzernder Goldreif. Samuel hatte gesiegt.
    Doch das Wichtigste hatte er noch vor sich . . .
    Er drehte sich mit dem Rücken zu einer der scharfen Steinkanten des Sockels und rieb seine Fesseln daran, um endlich auch die letzten drei Finger zu befreien. Wie viel Zeit war vergangen, seitdem er Martha Calloways Haus verlassen hatte? Nicht viel mehr als eine halbe Stunde vermutlich, selbst wenn er die Zeit mitrechnete, in der er bewusstlos gewesen war . . . Ihm blieben also noch gut zwei Stunden. Alles war möglich, man musste nur fest daran glauben!
    Er lief in die hintere Ecke des Raums, trat den Revolver mit dem Fuß beiseite und nahm den Goldreif an sich. Dem intensiven Leuchten nach zu urteilen, musste es sich um das Original handeln. Wo allerdings Merwosers Armreif und die Münzen geblieben waren . . .
    Er sah noch einmal in der Vertiefung des Sonnensteins nach, fand aber nichts weiter. Ohne die Scheiben des Thot würde es allerdings nicht leicht werden, nach Saint Mary zurückzukommen. Oder war es vielleicht gar nicht mehr möglich, sie zu benutzen? Indem sie die Sanduhr in Gang gesetzt und den Goldreif auf den ersten Sonnenstein gelegt hatten, hatten Rudolf und er möglicherweise einen Mechanismus ausgelöst, der verhinderte, dass man sich der gelochten Münzen bediente? Und der keine andere Wahl ließ, als den zweiten Goldreif zu benutzen? »Die beiden Sonnen können nicht gleichzeitig scheinen . . .«
    Aber eine nach der anderen, das müsste doch funktionieren?
    Samuel brachte den edlen Armreif mit dem übernatürlichen Schimmer an den Sonnenstein. Der Reif passte sich in die Sonnenscheibe ein, ohne dass der Schimmer nachließ, zeigte aber ansonsten keinerlei Wirkung. Weder auf dem Sonnenstein noch in der Vertiefung oder auf dem Sockel . . .
    Plötzlich beschlich Samuel ein seltsames Gefühl. Irgendetwas schien hinter seinem Rücken vorzugehen ... Er drehte sich blitzartig um und befürchtete schon das Schlimmste, doch was er dort auf der vergoldeten Wand sah, ging über jede Vorstellungskraft hinaus. Der Gott Thot. . . bewegte sich! Und nicht nur er! Alle anderen Miniaturfiguren zu seinen Füßen hatten sich ebenfalls in Bewegung gesetzt! Wie in einem Zeichentrickfilm! Lang gestreckte, im Profil erfasste Figuren mit
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