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Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)

Titel: Der lockende Ruf der grünen Insel: Roman (German Edition)
Autoren: Erin Quinn
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eigenartige Mischung von Gefühlen spiegelte sich in ihren grauen Augen wider: Hoffnung und Schmerz, Zorn und Freude; eine Trauer, an die all die anderen Gefühle gebunden zu sein schienen.
    »Mein Bruder«, wiederholte sie mit belegter Stimme und schüttelte den Kopf. »All diese Jahre ...«
    »Wir haben Sie lange Zeit gesucht.« Sean räusperte sich und sah das Foto an. »Ihr Familienname ist MacGrath«, informierte er sie. »Sie sind in Irland geboren. In Ballyfionúir, um genau zu sein.«
    »Bally ...«
    »Ballyfionúir. Das ist ein Ort auf der Insel Fennore, die vor der Südküste des irländischen Festlands liegt.«
    Er nahm noch etwas anderes aus dem mitgebrachten Umschlag und legte es vor sie hin. Es war eine Fotokopie einer Geburtsanzeige in einer Zeitung. Zwei Neugeborene wurden darin benannt: Dáirinn Edel und ein Junge namens Rory Finnegan. Beide waren am ersten Oktober 1984 zur Welt gekommen, und die Namen ihrer Eltern waren Fiona und Cáthan MacGrath.
    »Der Name des Mädchens wird wie Doorin ausgesprochen. Und es ist Ihr Name«, sagte Sean, als sie keine Frage stellte.
    »Ich kann das nicht glauben«, murmelte sie wieder.
    »Aber es ist die Wahrheit.«
    Daraufhin erhob sie ihren Blick zu ihm und schaute ihn mit großen, kummervollen und verwirrten Augen an. Er hatte sich eine ganze Palette von Reaktionen vorgestellt, die sein Besuch ihr entlocken könnte, die von Skepsis bis zu freudiger Erregung reichten. Aber er hatte nicht mit diesem nicht zu übersehenden Schmerz gerechnet, der jetzt in ihren Augen stand und ihn beschämte.
    »Mr. Ballagh ...«
    »Nennen Sie mich Sean! Schließlich sind wir ja quasi Verwandte.«
    Ihre Augen wurden noch größer und nahmen einen Ausdruck der Bestürzung an. »Verwandte? Aber Sie sind doch nicht mein Bruder, oder?«
    »Nein, nein«, erwiderte er schnell, weil ihm der Gedanke ebenso zuwider war wie ihr anscheinend. Er hielt jedoch nicht inne, um sich nach dem Grund zu fragen. »Nichts dergleichen. Wir sind nur entfernt verwandt. Zu entfernt, um überhaupt noch festzustellen zu können, wie genau.«
    »Gut.« Und dann, als ihr bewusst wurde, was sie gesagt hatte, errötete sie heiß.
    Sean beobachtete, wie Röte von ihrem schlanken Hals zu ihren Wangen aufstieg und sogar ihre zierlichen, kleinen Ohren überzog. Sie sah überhaupt sehr klein und verwundbar aus in ihrem viel zu großen hellblauen Pullover, was etwas durch und durch Männliches und Beschützerisches in ihm erwachen ließ. Auch damit hatte er nicht gerechnet. Aber wie sie war er sehr froh darüber, dass er nicht ihr Bruder war.
    Danni betrachtete das Foto erneut. »Das macht doch keinen Sinn«, sagte sie. »Wenn das meine Familie ist, warum bin ich dann in den letzten zwanzig Jahren ganz allein gewesen? Wo waren sie in all der Zeit?«
    »Ich hatte gehofft, das könnten Sie mir sagen.«
    Sie gab einen Laut von sich, der wie ein Lachen klang, aber keine Spur von Humor enthielt. »Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Ich weiß nur, dass meine Mutter mich eines Tages in einer Kindertagesstätte anmeldete und mich dann nie mehr abgeholt hat. Niemand erschien überhaupt je wieder, um mich zu holen. Kein Vater und auch kein Bruder, die mich vielleicht vermissten. Absolut niemand.«
    »Ihre Mutter hatte Sie in einer Kindertagesstätte angemeldet?«, fragte er schärfer als beabsichtigt und außerstande, die Zweifel aus seiner Stimme fernzuhalten. »Wo war das?«
    »Sie nannte sich die Cactus Wren Preschool«, erwiderte Danni. »Daran erinnere ich mich noch.«
    »Ich meinte, ob es hier war? In Amerika?«
    Sie nickte und runzelte verwirrt die Stirn. »Ja, wieso?«
    »Wieso?«, wiederholte Sean die Frage leise, als die Erklärung, die er ebenso fürchtete, wie er sie glauben wollte, an die Oberfläche hochzubrodeln drohte. Weil sie nämlich bedeutete, dass Dannis Mutter Irland verlassen hatte. Und noch am Leben gewesen sein musste, um das tun zu können.
    Schließlich räusperte er sich und sagte ruhig: »Ihre Mutter verschwand vor zwanzig Jahren mit Ihnen und Ihrem Bruder. Was aus ihr und den Kindern geworden ist in all den Jahren, ist das große Rätsel und Drama unserer Stadt. Bis vor Kurzem hielten wir Sie für tot. Sie alle.«
    Danni starrte ihn an und versuchte, seine Worte zu begreifen. Er erwiderte ruhig ihren Blick, denn das zumindest war die Wahrheit. Unter dem offenen Gesicht, das er ihr zeigte, verbarg sich jedoch ein Wirbel widerstreitender Gefühle, der in ihm tobte und ihm keine Ruhe
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