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Der Lilienring

Titel: Der Lilienring
Autoren: Andrea Schacht
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Das ist dein Haus?«
    Ich war fassungslos.
    »Ja, das ist mein Haus. Das erste, um korrekt zu sein. In dem anderen wohnt Gérard. Ihm habe ich die Felder verpachtet.«
    »Valerius, es gibt für mich einen Grund, diese Insel... Nein, es ist sehr kompliziert. Wir sind nicht zufällig hier. Diese Insel hat etwas mit einer Geschichte zu tun, die mein Vater uns erzählt hat.«
    »Du wirst mir mehr davon erzählen müssen.«
    »Es ist schwer, das in wenigen Worten zu erklären.
Aber wenn du da drüben wohnst, dann will ich gerne zu dir kommen. Nur möchte ich es zu Fuß tun.«
    »Na, dann steig aus. Ich fahre vor und hole dich unten am Strand ab.«
    »Ja, bitte, tu das, Valerius.«
    Ich stieg aus und nahm meine Schuhe in die Hand, während er den kurzen Weg vorausfuhr.
    »Der Rabe ist dir wohlgesonnen! Fürchte dich nicht vor ihm. Er wird dein Führer sein durch alle Welten. Er wird dich hierher zurückbringen. Einst.«
    Das hatte die alte Seherin Tekla der jungen Annik gesagt, bevor sie aufbrach. Vor beinahe zweitausend Jahren. Kannte mein Vater die Ile de Sieck?
    Langsam, Schritt für Schritt ging ich diesem Fleckchen Land entgegen.
    Zur Vorderseite hin stand ein großes Haus aus grauem Feldstein, ein festgefahrener Kiesweg führte aus dem sandigen Watt hinauf, endete in einem Hof davor, der von einem weißen Lattenzaun umgeben war. Hohe, blühende Hortensienbüsche lehnten an der Mauer, Türen und Fenster waren in einem leuchtenden Blau gestrichen. Ich sah hinüber und erkannte Valerius, der langsam den Pfad hinabging. Mein Begehren, meine Sehnsucht nach ihm überschwemmten mich wie die Wogen des Meeres. Ich konnte nicht anders, ich löste meine Haare und ließ den Wind sein Spiel mit ihnen treiben. Ich kehrte zurück, das war alles, was ich wusste. Als ich die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, flog krächzend ein Rabe vom First des Hauses auf. Ich blieb stehen. Er setzte sich vor mir nieder, und ich kniete mich zu ihm hin. Ganz ruhig blieb er sitzen, und seine dunklen Augen sahen mir in die Seele. Dann breitete er seine Fittiche aus, gab einen rauen Schrei von sich und flog davon. Ich sah ihm lange nach, und ich wusste, dass auch Valerius’ Blick ihm folgte. Dann lief ich los, ihm entgegen.

    Er fing mich in seinen Armen auf.
    »Ana! Welche Macht hast du über die Raben?«
    »Habe ich eine, Valerius?«, fragte ich leise.
    »Eine beeindruckende, fürchte ich.«
    Er hielt mich an sich gedrückt, aber ich machte mich vorsichtig los. Auf dem Kies zog ich meine Schuhe wieder an und näherte mich dem Haus. Die Kehle war mir eng, und ich war froh, als ich auch sie wieder fand. Zusammengerollt in der Sonne dösend, lag die kleine rote Katze vor der blauen Tür. Ich beugte mich zu ihr und rief sie sanft.
    »Feli, Feli.«
    Zwei grüne Augen blinzelten verschlafen, sie reckte sich, einmal vorne lang, einmal hinten lang, einmal Buckel machen. Dann kam sie zu mir, rieb ihr Köpfchen in meiner Hand und schnurrte, wobei der ganze Körper vibrierte. Ich hob sie hoch und drückte sie an mich. »Feli, hat lange gedauert, bis wir uns wieder treffen«, wisperte ich in ihr gespitztes Öhrchen. Sie begann, an einer Haarsträhne zu zupfen. Und drückte mir dann ihre Nase an die Wange.
    »Über die wilden Katzen gebietest du auch, Herrin?«
    »Wild? Wohl kaum.«
    »Doch, ihre Mutter ist eine Streunerin, die gelegentlich bei Gérard im Hof Mäuse fängt. Diese hier ist die letzte Überlebende ihres Herbstwurfes. Ich habe sie zu Ostern das erste Mal durch die Felder streifen sehen. Warum sie heute hier vor der Tür liegt, weiß ich nicht.«
    »Katzen haben viele Leben. Komm, Feli, wir wollen sehen, ob dieser Mann hier einen Becher Sahne im Kühlschrank hat.«
    »Hat er. Kommt rein. Ich werde wohl meine Gastfreundschaft auf dieses Tier ausweiten müssen.«
    »Magst du keine Katzen?«

    »Doch, aber ich hatte bisher wenig Muße, mich um sie zu kümmern.«
    Das Haus war wunderbar eingerichtet. Schon unser Ferienhaus mit seinen alten Möbeln hatte mich gefangen genommen, aber hier war die Hand eines echten Fachmanns und Künstlers tätig gewesen. Holz und roher Stein wechselten sich in Mauerwerk und Boden ab, an einer Seite gab der Raum hohe Deckenbalken preis, auf der andern Seite öffnete sich eine Galerie. Es gab einen Kamin, groß genug, um einen Ochsen darin zu braten, aber auch eine moderne Küche, in der Feli mit einem Sahnetöpfchen bewirtet wurde. Zunächst schnupperte sie misstrauisch daran, aber als ich ihr einen Tropfen am Finger
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