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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria
Autoren: Gillian Bradshaw
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erörterten sie lebhaft, wer bei den nächsten Rennen anläßlich des nächsten Festes mit welchen Pferden antreten würde. Das interessierte mich recht wenig.
    Ich war gerade auf dem Flur, an dem Thorions Zimmer lag, als sich die Tür des Nachbarzimmers, das ich mit meinem Kindermädchen teilte, öffnete und Maia herauskam. »Da bist du ja!« rief sie triumphierend. »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Ich habe dich überall gesucht.«
    Verdammt. »Ich war unten im Pferdestall«, sagte ich wahrheitsgemäß, »und habe Philoxenos bei der Arbeit zugesehen. Dann habe ich Thorion bei seinem Latein geholfen.«
    »Also wirklich, Thorion geholfen! Es schickt sich überhaupt nicht für dich, dich um sein dummes Latein zu kümmern, um diese törichte, barbarische Sprache! Du hast Stroh im Haar; wo hast du dich denn herumgetrieben? Hast du im Stroh gelegen, um den Pferden zuzusehen? Wirklich sehr ungehörig!«
    Maias wirklicher Name war Elpis, »Hoffnung«. Sie war eine fromme Christin und sehr stolz auf ihren Namen. Aber alle Kinder nennen ihre Ammen Maia. Sie war eine magere, knochige Frau, mit Armen wie Lederschnüre und glattem rotem Haar, das allmählich grau wurde. Ihr Vater war ein skythischer Barbar gewesen, der in irgendeinem Krieg gefangengenommen wurde, und ihre Mutter war die Haussklavin eines Kaufmannes aus Ephesus. Ihr Mann war an Lungenentzündung gestorben, und ihr kleiner Junge starb, als er gerade einen Monat alt war. Da damals auch meine Mutter gerade gestorben war und mein Vater eine Amme für mich brauchte, kaufte er sie für sechzig Solidi. Mit der Zeit war Maia auch Thorions Kindermädchen geworden. Sie verfügte in unserem Haushalt über eine beträchtliche Machtstellung, sowohl aufgrund ihrer Position als Hüterin der Kinder des Gebieters als auch aufgrund der ihr angeborenen Gewitztheit – denn sie war eine Frau mit scharfen Augen und einem scharfen Verstand, eine Frau, der nicht so leicht etwas entging. Eine weniger ehrliche Frau hätte vielleicht versucht, ein Vermögen anzuhäufen, indem sie sich für ihren Einfluß bezahlen ließ oder kleine Diebstähle beging; eine leichtfertigere Frau hätte vielleicht danach getrachtet, die Konkubine meines Vaters zu werden.
    Aber Maia legte großen Wert auf Sitte und Anstand, sie bedeuteten ihr alles. Der Anblick von Thorion und mir, wenn wir frisch gewaschen und gekämmt unsere mit einem purpurfarbenen Streifen versehenen Umhänge spazieren führten, veranlaßte sie in einem Ausbruch von Stolz zu einem entzückten Zungenschnalzen. Sie ging furchtbar gerne mit uns zur Kirche und saß ganz vorne, zwischen uns beiden, wo uns jeder sehen konnte. (Unsere Familie war seit den Jugendtagen meines Großvaters christlich, wenn auch nicht gerade sehr fromm. Großvater bekannte sich zu dem neuen Glauben, weil er erkannt hatte, daß die Christen bei Hof Vorzüge genossen. Er wurde beinahe verrückt vor Wut, als Kaiser Julian den Purpur übernommen hatte und plötzlich die Heiden begünstigte.) Die Möglichkeit, vor wichtigen, ranghohen Besuchern mit uns anzugeben, ließ Maias scharfe Augen vor Entzücken aufleuchten. Und wir, Thorion und ich, zuckten natürlich immer zusammen, wenn sie dieses Leuchten in den Augen hatte. Jetzt hatte sie es.
    »Du mußt ein anderes Gewand anlegen, Liebling«, rief Maia, und ihre Augen glänzten. »Dein höchst edler Vater hat Besuch, sehr vornehmen Besuch, und er möchte dich und den jungen Herrn Theodoros seinem Gast präsentieren.« (Seit Thorion in ein bestimmtes Alter gekommen war, nannte sie ihn stets den jungen Herrn Theodoros; auf dem Markt fügte sie sogar hinzu »seine Exzellenz« und »der höchst edle« usw. – obwohl ich mir sicher bin, daß sie ihn bei sich immer noch Thorion nannte, wenn sie an ihn dachte.)
    Ich fragte mich, was ich wegen meiner Drossel tun sollte. Wenn ich Glück hatte, würde Maia nicht in meine Tasche gucken. Vielleicht sollte ich mein Vorhaben, den Vogel zu sezieren, doch lieber aufgeben? Das war wahrscheinlich das Klügste. Ich konnte den Kadaver in einen der Innenhöfe werfen, falls es mir nicht gelingen sollte, ihn zu den Pferdeställen zurückzubringen. Ein toter Vogel in einem Innenhof ist schließlich nichts so furchtbar Verdächtiges. Ich wünschte den Besucher zum Teufel, wer auch immer er sein mochte, und ich ließ es zu, daß Maia mich in unser Zimmer zerrte, ein neues Gewand für mich auswählte, meine Haare in Ordnung brachte und mir ein hübscheres Paar Ohrringe ansteckte. »Sieh
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