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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter
Autoren: Åke Edwardson
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Kommentators klang erregt, was nicht bedeuten musste, dass auf dem Fußballfeld etwas Aufregendes passierte. Winter verstand, dass es um das Madrid-Derby ging, Atlético gegen Real. Aber das war oben im Norden, weit von hier entfernt.
    Enrique brachte den Weißwein in einem beschlagenen Glas, ein Wasserglas und eine kleine Flasche Mineralwasser.
    Einige Minuten später kam er wieder mit einem Teller anchoas, Brot in einem Korb und einem Schälchen mit gebratenen Paprika. Winter probierte den Wein. Er sah auf seine Armbanduhr. Es war noch immer früh am Abend. Er kostete die Speisen, brach das Brot, er brauchte das Salz der Sardellen, es half gegen die Müdigkeit nach der Reise.
    Enrique kam mit der gegrillten Seezunge, halbierten Zitronen und Olivenöl.
    Winter ging an dem alten Campo de Futbol vorbei, der, solange er hier gewesen war, nie als Fußballplatz benutzt worden und nichts weiter als ein leerer, staubiger Platz mitten in der Stadt war. Ein langes Warten auf urbanización . Er dachte an Heden im zentralen Göteborg.
    Er blieb bei Rot auf der Avenida Ricardo Soriano stehen und kreuzte dann die Paradestraße. An diesem Abend fand keine Parade statt. An der Costa del Sol war Nachsaison.
    Er ging geradeaus weiter und bog dann rechts in die Benavente ein, die er Hunderte von Malen entlanggegangen war, meistens zusammen mit seinen Kindern. Sie waren auf dem Nachhauseweg zu der Wohnung in der San Francisco oben am Plaza Santo Cristo gewesen oder unterwegs in die Stadt. Es war ein beruhigendes Gefühl gewesen, neben einem Kreuz zu wohnen. Bis dorthin würde er nicht gehen. Hier war die Corrales Altos, und gleich darauf erreichte er die Calle Aduar, eine der schmalsten Gassen von Marbella. Er schaute nach oben. Auf den Dachterrassen waren immer noch Sonnenschirme aufgespannt. Es war ein sonniger Tag gewesen. Es würde ein neuer sonniger Tag kommen.
    Er bog nach links ab und ging die Aduar weiter in nördlicher Richtung. Aus einem Fenster im Erdgeschoss hörte er den Fußballkommentator. Das Spiel ging weiter. Auch das beruhigte ihn, wie das Kreuz am Christusplatz.
    Er stand vor der Haustür und schaute hinauf. Zwei Fenster im obersten Stock waren erleuchtet. Gegen den Abendhimmel zeichnete sich ein weißer Zipfel ab, der Sonnenschirm auf der Dachterrasse. Hier wurde der Himmel nie schwarz. Es war wie in Göteborg, wie am Meer. Er legte die Hand auf die schwere Türklinke, auch sie war wie in Göteborg, Chalmersgatan, Götabergsgatan, Teatergatan. Aber die Straße hinter ihm war schmaler, unglaublich schmal. Im vergangenen Winter hatte es hier ein kleines Restaurant gegeben, aber das war nicht mehr da, oder er hatte vergessen, wo es wirklich lag.
    Er hätte Erik Lentner in diesen Gassen begegnen können. Und Gloria. Eriks Eltern.
    Vielleicht Madeleine.
    Er stieg die Treppen hinauf. Derselbe muffige trockene Geruch nach Feuchtigkeit, Schimmel, Sonne und Schatten schlug ihm entgegen. Beleuchtung gab es keine, jedenfalls konnte er keine Lampen oder Lichtschalter entdecken. Hier herrschte dasselbe Mittelalter wie überall. Das einzig Moderne an diesem Ort war seine eigene Hoffnung auf die Zukunft. Plötzlich sehnte er sich nach der Zukunft, wie man sich nach dem Sommer sehnt. Er konnte sie kaum erwarten. Nur noch dies hier erledigen, dies war seine letzte Reise.
    Er hörte die Musik im Treppenhaus. Sie war nicht laut, dröhnte nicht direkt aus der Wohnung. Sie war eher wie ein leises Sausen, wie das Rauschen des Meeres. Der obere Teil der Flügeltür war hübsch farbig verglast, alt und hübsch, dachte er. Wie in einer Kirche. Die Treppen waren aus altem Stein, der weich wie Haut geworden war. Das Haus mochte dreihundert, vierhundert Jahre alt sein. Familie Lentner hatte gut gewählt. Das Namensschild an der Wohnungstür war diskret, an der Grenze zur Unsichtbarkeit. Winter war klar, dass sich dahinter eine riesige Wohnung verbarg, unsichtbar und riesig.
    Er sah einen Schatten hinter dem blauen Glas.
    Die Tür wurde geöffnet.
    »Ich habe die Haustür gehört«, sagte Erik Lentner. Er betrachtete Winters Gesicht, als suchte er darin etwas, was es beim letzten Mal nicht gegeben hatte.
    »Viel Stein hier«, sagte Winter. »Stein leitet Schall.«
    »Die Straße ist auch nicht gerade lärmisoliert.«
    »Aber Sie haben die Terrasse«, sagte Winter. »Und einige Zimmer nach hinten hinaus.«
    »Das stimmt.«
    »Darf ich hereinkommen?«
    »Ich wusste, dass Sie kommen würden«, sagte Lentner. Einladend öffnete er die Tür und
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