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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter
Autoren: Åke Edwardson
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er kurz an die Winterluft gegangen.
    »Dann hätte er sie ja durch die Stadt …«, sagte Winter.
    »Nur quer durch Vasastan«, unterbrach ihn Ringmar.
    Und Winter war schon unterwegs.
    »Beschaff die Baupläne«, rief er über die Schulter. »Heute Abend!«
    Ich bin ein Röhricht im Wind, dachte er auf dem Heimweg im Auto. Ich werde hin und her gebogen. Es ist noch nicht vorbei.
    Er parkte vor der Haustür. Er sah das Licht in seiner eigenen Wohnung. Angela aß mit den Kindern Abendbrot. Er wollte auch Abendbrot essen. Er wollte auch zugedeckt werden. Er wollte, dass ihm jemand die Zähne putzte, Milchzähne oder nicht. Er dachte an die Milch in dem Krug bei Peder Holst. Sie war wie Wasser über das blaue Tablett geflossen. Blaues Wasser. Mittelmeerblau. Kein Meer war so blau wie das Mittelmeer, selbst im Januar. Im Januar hatte er bis zu den Knien in diesem Wasser gestanden. War es ein Jahr her? Zwei?
    Angela darf es nicht wissen. Elsa und Lilly dürfen es nicht wissen. Wenn sie da oben ist, wird es ein Geheimnis bleiben, das ich niemals preisgeben werde. Nicht hier, nicht in meiner Familie. Erst der Strand, dann der Dachboden. Nein, nein, nein.
    Der alte Fahrstuhl transportierte ihn nach oben.
    Seine Hand zitterte leicht, als er den alten Schlüssel an dem alten Schlüsselbund hervorsuchte. Er öffnete die alte Tür. Er stieg die alte Treppe hinauf. Es war der gleiche alte trockene Geruch, der dort in all den Jahren gehangen hatte. Trocken. Alt. Gewohnt. Vertraut. Es war sein Dachboden. Es war sein Zuhause.
    Wann bin ich das letzte Mal hier oben gewesen? Heiligabend? Am Abend davor?
    Da war sie noch nicht verschwunden.
    Er sah das Vorhängeschloss an dem Haken der Lattentür von Familie Winter-Hoffmanns Dachbodenverschlag. Es hing nur zum Schein da. Der Verschlag war immer offen gewesen. Er griff nach dem Schloss und zog daran. Das ganze Ding riss ab. Er verlor das Gleichgewicht, musste mit der Hand an der Wand hinter sich Halt suchen. Er hatte vergessen, die Deckenbeleuchtung einzuschalten. Aber die brauchte er nicht. Hier gab es nur Gegenstände, die er kannte. Er verließ den Verschlag und ging kurz an den Abteilen auf und ab. Auch dort gab es nichts. Sicherheitshalber würde er alle öffnen lassen. Doch es stand jetzt schon fest, hier war sie nicht. Es war nur seine und Bertils Phantasie gewesen. Zu viel Phantasie. Dennoch brauchten sie noch mehr, viel mehr Phantasie. Phantasie ist das Einzige, was uns von den Tieren unterscheidet.
    Sie saßen am Tisch. Im Flur hörte er ihre Stimmen. Es war sein Zuhause, ganz allein sein Zuhause.
    »Papa! Papa!«
    »Surprise, surprise.« Angela legte den Löffel hin und lächelte. »Dürfen wir dir vielleicht etwas anbieten?«
    »Ich kann nicht lange bleiben«, sagte er.
    »Bleibst du nicht, Papa?!«, fragte Elsa. »Du bist doch gerade erst gekommen!«
    »Das war nur ein Scherz zwischen Mama und mir.«
    »Blöder Scherz«, sagte Elsa.
    »Ja, Schätzchen.«
    »Dummer du!« Lilly lachte.
    »Ich dachte, du würdest die halbe Nacht wegbleiben«, sagte Angela.
    »Das ist durchaus möglich.«
    »Du bist blass.«
    »Ja.«
    Sie streckte die Hand aus und prüfte seine Stirn.
    »Du bist heiß.«
    »Mir ist kalt.« Er schauderte. Er fror. Sein Rücken war kalt.
    »Was ist passiert, Erik? Warum bist du nach Hause gekommen?«
    »Nichts ist passiert.«
    Lilly streckte sich nach dem Löffel, den Angela in der Hand hielt. Lilly hatte einen eigenen Löffel, aber sie wollte einen größeren.
    »Möchtest du ein bisschen Brei, Erik?« Angela lächelte wieder. Er mochte ihr Lächeln. Auch das Lächeln gehörte ihm.
    »Wenn du mich fütterst.«
    »Ha, ha, ha!«, sagte Elsa.
    Winter spürte, dass sich etwas in seinem Kopf bewegte, keine Kühle, keine Wärme. Es war kein Schmerz. Er spürte etwas auf seiner Wange.
    »Weinst du, Papa?«, fragte Elsa.
    »Ich hab was ins Auge bekommen, Mäuschen.«
    Etwas im Auge. Etwas im Kopf. Er wollte nicht die halbe Nacht wegbleiben. Er wollte, dass sie lebte. Noch war es nicht zu spät. Ihnen blieben noch mehrere Stunden Zeit. Aber kein ganzer Tag, nicht einmal die halbe Nacht.
    Das Handy vibrierte in seiner Jacketttasche. Anscheinend hatte er seinen Mantel im Flur ausgezogen. Wahrscheinlich lag er dort auf dem Fußboden. Oder oben auf dem Dachboden. Er konnte sich nicht erinnern, dass er den Dachboden verlassen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, ob er den Fahrstuhl genommen hatte oder die Treppen hinuntergegangen war.
    »Ja?«, sagte er, ohne auf das
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