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Der letzte Winter

Titel: Der letzte Winter
Autoren: Åke Edwardson
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Eisen die Ritter des Mittelalters geschützt hatte.
    »Er kann sie doch nicht einfach liegen gelassen haben.« In Ringmars Stimme war ein flehender Ton. Er sah Winter an. »Er hat sie umgebracht, bevor er geflohen ist.«
    »Warum sollte er so barmherzig sein?«, fragte Winter.
    »Vielleicht ist er das immer gewesen«, sagte Ringmar. »Er hat zwei Menschen überleben lassen.«
    »Überleben? Ist das der richtige Ausdruck in diesem Zusammenhang?«
    »Du weißt, wie ich das meine, Erik.«
    »Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich habe nicht verstanden, warum er sie am Leben gelassen hat.«
    »Das werden wir nie verstehen, Erik. Wir werden es vielleicht erfahren, aber wir werden es nicht verstehen.«
    »Ich will, dass er es mir erzählt«, sagte Winter. »Er soll es mir selber erzählen.«
    Er sah die Straßenbahn am anderen Ufer des Fattighusån. Sie bohrte sich wie ein Glühwürmchen durch die Dunkelheit. Wie ein zusammengepresstes Lichtbündel. In einen Tunnel. Durch einen Tunnel. Ein Tunnel unter der Burg. Geheimgänge. Mittelalterliche Passagen. Geheime Gemächer.
    »Es gibt einen geheimen Raum.« Er drehte sich zu Ringmar um. »Irgendwo in diesem Komplex. In einem der Komplexe. Eine geheime Wohnung.«
    »Wir können uns ja noch mal die Pläne vornehmen«, sagte Ringmar. »Aber auf Plänen gibt es keine Geheimnisse.«
    »Das denkst du, aber es gibt sie, Bertil.«
    Bei einer Tatortsicherung sucht man nicht als Erstes nach verborgenen Räumen. Oder geheimen Wohnungen. Im ersten Moment richtet sich der Fokus auf etwas anderes.
    Aber die geheimen Räume gibt es. Brände zum Beispiel können viel entlarven.
    »Als der Cue Club abgebrannt ist, wurden komplett eingerichtete Geheimzimmer im Mauerwerk des Hauses freigelegt«, sagte Ringmar. »Ganze Wohnungen.«
    »Davon habe ich gehört.«
    »Alte Gemäuer können alles Mögliche verbergen«, sagte Ringmar.
    Winter schwieg. Er dachte an Steine und an den Zwischenraum zwischen den Steinen.
    »Hat er in seiner eigenen Wohnung ein Geheimzimmer gebaut?«
    »Das hätten wir entdecken müssen«, sagte Winter, »aber wir haben nicht danach gesucht.«
    »Echt clever, ein Geheimzimmer. Hinter Bücherwänden. Hinter der Schlafzimmerwand.«
    In Ringmars Stimme war ein Ton, den Winter kannte. Er klang hohl, eine müde Faszination angesichts der Handlungsweise von Menschen. Doch noch hatten sie nicht alles gesehen. Winter hatte auch ein Gefühl der Leere, das gleiche Gefühl wie Bertil. Es war wie ein leerer widerhallender Raum, ein verborgenes Gefängnis.
    »Die Wohnungsgesellschaften müssen über Pläne der Häuser verfügen«, sagte Winter.
    »Klar«, antwortete Ringmar.
    »Die Wohnungsbesitzer. Bestimmt besitzen sie detaillierte Zeichnungen.« Winter hatte angefangen, im Zimmer auf und ab zu gehen. Das Parkett knarrte unter seinen Schritten. »Zwischen den Wohnungen und den Stockwerken gibt es Lufträume. Im Treppenhaus gibt es Stellen, die man zubauen, bedecken, verstecken kann. Es kann umgebaute Fahrstuhlschächte geben. Herr im Himmel, Bertil!«
    Ringmar nickte. Er sah müde aus und rutschte nicht auf dem Stuhl herum.
    »Was ist, Bertil?«
    »Es ist ja nicht einmal sicher, dass sie sich noch im Haus befindet, in einem der Häuser.«
    »Nein. Aber es wäre nicht leicht gewesen, sie zu transportieren. Was für ein schreckliches Wort. Transportieren. Sie zu verlegen.«
    »Vielleicht war er nicht allein.«
    Winter schwieg.
    »Was ist mit Rhodin«, sagte Ringmar. »Hat er etwas mit der Sache zu tun?«
    »Nein. Das hätte er uns erzählt. Das ist ganz allein Schiölds Werk.«
    Ringmar sah auf seine Armbanduhr.
    »Wenn sie noch lebte, als er sie verlassen hat, dann hoffe ich nur, dass er ihr genügend Wasser hingestellt hat.« Er schaute auf, begegnete Winters Blick. »Das ist mehrere Tage her.«
    »Wir brauchen so viele Leute wie möglich, die noch einmal alle Keller und Dachböden abgrasen«, sagte Winter, als ob er nicht zugehört hätte.
    »Die Dachböden?«
    »Besonders die. Dort vermutet niemand geheime Kammern. Dachböden sind doch alle gleich.«
    »Ach?«
    »In unserem Haus jedenfalls.«
    Winter verstummte. Ringmar sah ihn wieder an.
    »Wann bist du zuletzt auf deinem Dachboden gewesen, Erik?«
    »Nein, nein, nein, Bertil!«
    »Die DVD ist dir ins Haus geliefert worden. Wahrscheinlich von dem Scheißkerl.«
    »Das ist etwas anderes. Die wiegt kaum mehr als eine Feder.«
    Ringmar schwieg. Er sah noch immer müde aus, aber sein Gesicht hatte eine andere Farbe angenommen, als wäre
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