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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
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überquerte, dann musste er sich in einem Hauseingang versteckt haben. Auf der anderen Seite stand ein dunkelhaariger Model-Typ mit kunstvollem Dreitagebart und Trenchcoat und kümmerte sich scheinbar intensiv um eine SMS , aber wenn das mein Verfolger war, dann war er entweder ein Trottel, oder er wollte, dass ich ihn sah. Keine weiteren Kandidaten.
    »Jake?«
    »Ja. Hör zu, mach da nicht rum, Harley. Kannst du irgendwo anders hin?«
    Ich hörte ihn ausatmen, sah, wie der alternde Körper im Leinenanzug zusammensackte. Harley ging plötzlich auf, was es hieß, wenn seine WOKOP -Deckung aufgeflogen war. Mit Siebzig ist es zu spät loszurennen. Über das Telefonrauschen hinweg konnte ich spüren, wie er es sich vorstellte: Hotelzimmer, Bestechungsgelder, falsche Namen, der Tod des Vertrauens. Kein Leben für einen alten Mann. »Na ja, ich kann ins Founders gehen, schätze ich, wenn mich zwischen hier und der Child’s Street niemand umlegt.« Founders, das war das Foundation, Harleys geradezu satirisch exklusiver Club, mit zweitklassigen Butlern und einem erstklassigen Escortservice, mit unbezahlbaren Antiquitäten und hochmoderner Unterhaltungselektronik, Massagetherapeuten, einer Kartenlegerin im Haus und einem Drei-Sterne-Koch. Man musste reich sein, um aufgenommen zu werden, Ruhm galt allerdings als Ausschlussklausel; Öffentlichkeit zog Aufmerksamkeit an, und das Founders war ein Ort für die Reichen, um im Stillen sündigen zu können. Harley zufolge wussten keine hundert Menschen von der Existenz des Clubs. »Lass mich erst mal nachschauen«, zögerte er. »Ich logge mich bei WOKOP ein und –«
    »Gib mir dein Wort darauf, dass du deine Waffe nimmst und verschwindest.«
    Harley wusste, ich hatte recht, er wollte nur nicht. Nicht jetzt, nicht so unvorbereitet. Ich stellte ihn mir vor, wie er sich umsah. All die Bücher. So vieles endete ohne Vorwarnung.
    »Na gut«, willigte er ein. »
Verdammt

    »Ruf mich an, wenn du im Club angekommen bist.«
    Und ich sollte wohl besser das Flamingo nutzen, der Club war ja nun mal da. Kein Jäger würde einen derart öffentlichen Zugriff wagen. Von außen war der Nachtclub eine unauffällige dunkle Ziegelfassade und eine Metalltür, die auch als Banktresor hätte dienen können. Darüber hing ein winziger pinkfarbener Neonflamingo, den nur die Eingeweihten zu deuten wussten. In der Filmversion würde ich hineingehen und durch ein Toilettenfenster verschwinden oder eine Frau kennenlernen und eine problematische Affäre beginnen, mit der ich auf Kosten der Frau irgendwie mein Leben retten würde. In Wirklichkeit würde ich hineingehen und vier Stunden unter Beobachtung meines Attentäters dort verbringen, ohne herauszufinden, wer er war, nur um dann wieder auf die Straße zu gehen.
    Ich wendete mich von der Warteschlange ab. Ein warmer Bewusstseinsstrahl folgte mir. Ein kurzer Blick auf den Glamourfuzzi im Trenchcoat verriet mir, dass er sein Handy einsteckte und mir folgte, aber ich konnte nicht recht glauben, dass er es tatsächlich war. Es lag etwas mehr Raffinesse in der Luft. Ich sah auf die Uhr: 0  Uhr 16 . Die letzte Bahn von der Gloucester Road würde spätestens um halb eins fahren. Selbst bei diesem Tempo sollte ich das noch schaffen. Wenn nicht, dann würde ich im Cavendish einchecken und Madeline sausen lassen, doch da ich ihr freie Hand beim Zimmerservice im Zetter gelassen hatte, würde ich am Morgen wohl höchstwahrscheinlich pleite sein.
    Dies, so könnte man sagen, sind nicht die Überlegungen eines Wesens, ermüdet von der Geschichte, erledigt von zu viel Inhalt, übersättigt bis zur völligen Leere. Zugegeben. Aber es ist die eine Sache zu wissen, dass der Tod noch siebenundzwanzig Tage entfernt ist, und eine vollkommen andere zu wissen, dass man
jeden Augenblick
seine Bekanntschaft machen könnte. Hier, in menschlicher Gestalt umgebracht zu werden, wäre widerlich, übereilt und – trotz der Tatsache, dass es so etwas wie Gerechtigkeit nicht gibt – ungerecht. Außerdem konnte die Person, die mir da folgte, nicht Grainer sein. Wie Harley schon sagte, legte Seine Lordschaft Wert auf den
Wolf
, nicht auf den
Wer
, und der Gedanke, von jemand Geringerem als dem Besten der Jagdgesellschaft ins Jenseits befördert zu werden, war abstoßend. Von meiner bislang noch nicht erfüllten Chronistenpflicht ganz zu schweigen: Wenn ich jetzt auf der Stelle ausgelöscht wurde, wer würde dann die unerzählbare Geschichte erzählen?
Die ganze Krankheit meines
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