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Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Autoren: Adam Nevill
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beide ab und wischte sie an seinen Jeans trocken. Er biss die Zähne zusammen, um nicht weinen zu müssen.
    Er ließ die Kamera am Schultergurt herabhängen, griff nach der Pistole, klemmte eine der beiden Fackeln zwischen die Knie und zündete sie an. Dann hielt er sie gerade noch rechtzeitig über den Kopf, um drei Gestalten abzuschrecken, die über die Decke der Lobby auf ihn zukrochen, die Klauen schwarz von getrocknetem Blut.
    Kyle taumelte durch den Korridor und sah immer wieder hinter sich nach den Dingern, die innehielten und die knochigen Hände vors Gesicht schlugen, weil sie den grellen Lichtschein nicht ertrugen. Kyle wandte sich nach rechts. Er erinnerte sich daran, dass Jed von zwölf Zimmern gesprochen hatte. Wie viele hatten sie überprüft? Eins, zwei, drei . »Scheiße!« Er musste noch neun Räume betreten, und zwar so lange die Fackeln noch leuchteten. In der Pistole waren noch zehn Patronen …
Glaubte er jedenfalls. Sollte er zurückgehen und nach Jeds Waffe und seinen Ersatzmagazinen suchen? Aber er hatte sie nirgendwo gesehen. Jeds Pistole konnte irgendwo im Flur herumliegen, vielleicht sogar in dem Zimmer, wo sie über ihn hergefallen waren. Und ohne die Nachtsichtbrille würde Kyle, wenn die Fackeln erloschen waren, gleichzeitig durch die Kamera hindurchschauen und mit der Waffe auf die schmalen, dünnen Gestalten zielen müssen, die ihn bedrängten. Er hätte keine Chance. Ein Scharfschütze war er ohnehin nicht. Sich den Weg nach draußen frei zu schießen, war keine Option für ihn. Er rannte weiter.
    Im lang gestreckten Korridor auf der Rückseite des Hauses entdeckte Kyle drei Türen, weitere drei würde er weiter hinten finden, drei weitere auf der Vorderseite gegenüber der Lobby, dort wo sie schon die anderen Zimmer durchsucht hatten. Er fragte sich, was wohl in diesen Räumen auf ihn wartete, und war einer Ohnmacht nahe. Wo war Chet? Wo, wo, wo? Max hatte gesagt, alles würde mit ihm beendet sein. Heulen und Kreischen drang von der anderen Seite des Gebäudes zu ihm, darunter mischte sich das Grunzen des Schweins, das halb zerfleischt offenbar noch immer Schmerzensschreie ausstieß. Die grausigen Geräusche hallten durch die Flure. Er zögerte. Sah sich um. »Scheiße!«
    Eine Tür. Mach eine Tür auf. Egal welche. Die erste war abgeschlossen. Die Fackel fing an zu flackern. Er rannte zur nächsten Tür und zerrte an der Klinke: Abgeschlossen. »Scheiße!« Die dritte ging auf. Er gab ihr einen Schubs. Drehte sich um und warf einen Blick nach rechts und links in den Korridor. Wände, Decke und Boden würden bald schon von herankrabbelnden grausigen Gestalten bedeckt sein. Er hörte, wie die Fressgeräusche in der Lobby abebbten und sich kratzende Klauen auf dem Boden in Bewegung setzten und durch die dunklen Schatten näher kamen. Im offenen Kampf hatte er keine Chance, und es gab keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Beinahe hätte er jämmerlich nach seiner Mama gerufen.
    Aber er wollte nicht aufgeben und warf die ausgehende Fackeln ins Zimmer vor ihm. Nun bemerkte er, dass es ein großer Raum war, vollgestellt mit Stühlen, deren Lehnen ihm zugewandt waren. Saß da jemand drauf? Angst packte ihn erneut. Die Fackel verlosch. Nach drei Versuchen gelang es ihm, die zweite Fackel anzuzünden. Sie flammte spuckend und zischend auf und leuchtete schließlich wunderbar hell und weiß. Die Horde der modrigen Knochenwesen draußen im Flur hielt inne, dann krabbelte sie zurück und suchte Schutz.
    Die Pistole im Anschlag, die Fackel hoch erhoben, betrat Kyle das Zimmer und warf die Tür hinter sich mit dem Fuß zu. Er trat zwischen die Stühle und blieb wie gelähmt stehen, als er sah, wer da aufrecht und grinsend in dem Zimmer saß, in dem er sich eingeschlossen hatte.
    Er wusste gar nicht, weshalb er zuerst schreien sollte, weil es einfach zu viel hier gab, das einen zum Schreien bringen konnte.  Und so wurde er zu einem kraftlosen Wesen, das völlig regungslos und stumm blieb und mit offenem Mund in den Raum starrte.
    Er dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass keine der sitzenden Gestalten sich bewegte. Das Publikum, das da auf den weißen Stühlen hockte, war dort hingesetzt worden, manche waren sogar mit Seidenschärpen festgebunden. Und alle waren tot. Bestanden größtenteils aus Knochen. Manche hatten Zähne, längliche gelbe Pferdezähne, die aus ihren knorpeligen Mäulern ragten. Dort, wo noch Fleisch zu sehen war, war es ausgetrocknet und wie konserviert. Die
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