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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung
Autoren: Wolfgang Jeschke
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die erschreckende Vision, das Meer sei verschwunden, und ich könnte die Abhänge hinunterblicken zum Meeresgrund. Sie verfolgt mich geradezu.«
    Welch wirkmächtiges Bild scheint mir da gelungen zu sein, und ich gestehe, wenn ich meinen alljährlichen Urlaub in Panormos auf Skopelos verbringe und die untergehende Sonne betrachte, erliege auch ich nicht selten der Vorstellung, die steilen bewaldeten Ufer der Insel fielen hunderte von Metern hinab bis zum Grund des Meeres, wo sich die Dunkelheit sammelt …
    Wie kam ich zu dieser Idee vom leeren Mittelmeerbecken? Nun ja, sich das Meer wegzudenken, erfordert ein bisschen Phantasie, aber es ist letztlich ein realistisches Bild aus der Erdgeschichte vor etwa fünf Millionen Jahren. Heute sind dies alles anerkannte geologische Tatsachen, die man in Lehrbüchern verzeichnet findet, doch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren das höchst faszinierende Hypothesen - für mich jedenfalls. Wie kam man darauf?
    Um die Mitte des 20. Jahrhunderts war eines der ehrgeizigsten technischen Projekte in Angriff genommen worden: der Assuan-Staudamm. Die Sowjetunion, eng mit Ägypten verbunden, hatte den Zuschlag bekommen. Ende der fünfziger Jahre wurden die ersten Probebohrungen am Ersten Katarakt vorgenommen. Die russischen Ingenieure wollten den Fuß der Staumauer auf gewachsenen Fels setzen, aber so tief sie auch bohrten, sie stießen nur auf Geröll. Es stellte sich heraus, dass der Nil bei Assuan vor langer Zeit eine Rille ausgewaschen hatte, die tiefer war als der Grand Canyon. Diese Tatsache ließ sich nur dadurch erklären, dass der Fluss einst ein viel stärkeres Gefälle gehabt haben musste, und dies wiederum setzte voraus, dass seine Mündung einst 1000 bis 2000 Meter tiefer gelegen hatte als heute.
    Von 1970 an führte das Forschungsschiff Glomar Challenger Bohrungen im Mittelmeer durch. Man stieß auf mächtige Salzdome auf dem Meeresgrund, was darauf hindeutete, dass in vorgeschichtlicher Zeit ungeheure Mengen Salzwasser verdunstet sein mussten. Irgendwann hatte die Plattentektonik (damals noch heftig umstritten) die afrikanische Platte im Westen so stark gegen die europäische gedrängt, dass die Straße von Gibraltar abgeschnürt worden war. Das Mittelmeer ist ein Verdunstungsmeer, das heißt, es verdunsten größere Mengen Wasser, als die großen Flüsse wie Nil und Rhone anliefern. Es ist auf den Zustrom vom Atlantik angewiesen, sonst sinkt sein Spiegel. Ist Gibraltar dicht gemacht, dauert es ein paar tausend Jahre, und das Mittelmeer ist buchstäblich auf Salzsümpfe eingedampft. Der Nil mündete südlich von Kreta 2000 Meter unter dem heutigen Wasserspiegel, die Rhone ebenfalls - in flachen Salzlaken östlich von Barcelona, nachdem sie ihren tausend Meter tiefen Canyon hinter sich gelassen hatte.
    Als sich dann das Atlantikwasser zwischen Spanien und Afrika durch Erosion wieder Bahn brach, muss ein Wasserfall entstanden sein, der mehr Wucht entfaltete als sämtliche heutigen Wasserfälle zusammengenommen. Und trotzdem dauerte es mindestens ein Jahrhundert, bis das mediterrane Becken wieder aufgefüllt war. Das geschah vor etwa fünf Millionen Jahren, aber inzwischen weiß man, dass sich dieser Vorgang damals nicht zum ersten Mal ereignet hat.
    Welch grandiose Kulisse! Ich konnte mich ihr nicht entziehen.
    Und dann waren die Endsechziger und die beginnenden Siebziger die Zeit des ungestümen Muammar al-Ghaddafi, dem das Öl aus dem Wüstensand sprudelte und der sich in den Kopf gesetzt hatte, herumzuzündeln und die Welt gründlich aufzumischen. War es nicht höchste Zeit, ihm das Öl unter dem Hintern wegzupumpen, bevor er sich überhaupt draufsetzen konnte, um es in sinnvollere Bahnen zu lenken, das heißt, mittels Pipelines durch die Salzsümpfe des Mittelmeerbeckens den Rhone-Canyon hinauf in die Nordsee zu leiten? Dort wurden gerade die ersten Offshore-Bohrinseln installiert. Öl im kalten Schlamm der Nordsee? Ich hatte da irgendwie meine Zweifel. Bei Nacht sahen diese Gebilde mit ihrer bunten Festbeleuchtung faszinierend futuristisch aus. Könnte es sich dabei nicht um eine raffinierte Tarnung handeln? Um Zeitmaschinen, die das lybischen Öl, von Pipelines angeliefert, aus der Vergangenheit heraufpumpten?
    All das hatte sich um die Mitte der Siebziger in meiner Phantasie so weit ineinander gehakt, dass ein Ganzes erkennbar wurde, und ich begann zu schreiben. 1977 war der Roman fertig. Science Fiction für Kenner im Lichtenberg-Verlag gab es nicht
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