Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
Gesichts, verzerrt durch die Rundung.
    Er rieb sich den Oberarm, als das Gerät entfernt wurde. Die Haut juckte, er betrachtete die drei winzigen Wundmale, wo die Sonden in seinen Körper gedrungen waren.
    »Ich werde sehen, was ich für dich tun kann«, sagte der Pilot. »Finde ich dich hier wieder?«
    Steve nickte.
    »Dann warte auf mich. Ich werde wiederkommen.«
    Er kletterte in sein Fahrzeug zurück. Die unsichtbaren Aggregate warfen Staub auf, der Tropfenleib wurde durchsichtig und stieg in rascher Fahrt schräg nach oben in den Mittagshimmel, mit einem drohenden Grollen, als öffnete sich die Höllenpforte in der Taufkapelle des Lateran.
    Steve hob unwillkürlich die Hand, als wollte er das glitzernde Gefährt zurückhalten, doch dann ließ er sie sinken und wandte sich Goodluck zu. Er sah, dass der Knirps eingeschlafen war. Da legte auch er sich in den kühlen Schatten der Akazien und war gleich darauf in Schlaf gesunken.
     
    Steve erwachte, als Davy ihn mit der Schnauze anstieß. Er reckte sich und fühlte sich ausgeruht und kräftig, innerlich entspannt und voller Tatendrang. Wie lange hatte er geschlafen? Dieser merkwürdige Traum … er erinnerte sich an die Begegnung mit einem Engel, genau wie es damals Harald widerfahren war, an ein Dröhnen am Himmel, als würde …
    Er setzte sich mit einem Ruck auf und starrte seinen Oberarm an. Mit hastigen Bewegungen kratzte er den Schorf ab. Die winzigen Einschnitte darunter waren bereits verheilt und kaum noch zu erkennen.
    Goodluck hatte ein Feuer angezündet und hielt einen angespitzten Stecken, auf den er ein Stück Fleisch gespießt hatte, über die Flammen.
    Steve stand auf, ging zu ihm hinüber und blickte ihn verblüfft übers Feuer hinweg an. Goodluck sah entsetzlich aus. Sein Körper war zum Skelett abgezehrt, die Haut spannte sich über seine Rippenbögen, die Schlüsselbeine traten wie eckige Ösen hervor, büschelweise hatten sich die Haare aus seinem struppigen, glanzlosen Fell gelöst, am linken Oberarm hatte er eine handgroße nackte Fläche …
    Als hätte er Steves Blick gespürt, kratzte sich Goodluck an dieser Stelle.
    »Davy hat eine Schlange erlegt«, sagte er.
    Die Zweige knackten im Feuer. Steve schüttelte unmerklich den Kopf und suchte Goodlucks Blick, versenkte den seinen in die haselnussfarbenen Augen, in denen neues Leben funkelte.
    Der Knirps verzog die Lippen und lächelte, und Steve lächelte zurück.
    Was ist schon die Realität für den menschlichen Geist, hatte Paul gefragt. Ein Getto. Und als hätte Goodluck seine Gedanken verstanden, wischte der sich mit einer flüchtigen Bewegung über Stirn und Augen, wie um den Faden eines Altweibersommers abzustreifen.
    Steve stand auf und begann die Tiere zu satteln. Goodluck sah ihm erstaunt zu.
    »Reiten wir?«, fragte er.
    »Fühlst du dich stark genug?«
    »Ich bin stark.«
    »Dann komm!« Mit einem entschlossenen Ruck zog er den Sattelgurt fest. »Ich kann dich hier nicht zurücklassen, da ich dich am nötigsten brauche.«
    Goodluck blickte nach Westen, zur tief stehenden Sonne.
    »Wir kommen heute nicht mehr weit.«
    »Dann reiten wir die Nacht hindurch. Ich kann an diesem Ort nicht bleiben, er macht mir Angst.«
    Goodluck blickte sich scheu um und nickte. Er schnitt die gebratene Schlange in drei Stücke und verteilte sie. Dann löschte er das Feuer.
    Die Sonne ging unter, noch während sie durch das Tal des Soumman aufstiegen. Nach Mitternacht hatten sie die Kante des Plateaus erreicht. Sie ließen die Tiere verschnaufen.
    Die Mondsichel trieb den fernen Höhen im Westen entgegen und goss ihr Licht über das wogende Grasland der Sahara, das sich bis zum Horizont erstreckte unter einem grenzenlosen Himmel.
    »Ich hätte große Lust, meine Schwingen auszubreiten und zu fliegen«, sagte Steve.
    Goodluck blickte ihn prüfend an, bleckte die Zähne und stieß ein kollerndes Grunzen aus. Die Sterne blitzten in seinen nachtdunklen Augen.
    Steve fiel in sein Lachen ein, stieß die Fersen in die Flanken seines Reittiers und trieb es an. Ihm war, als werde er jenseits des Horizonts, jenseits der Dunkelheit, jenseits des Sternenfunkelns erwartet, und Freude erfüllte ihn.
    Als die Sonne aufging, hatte das weite helle Herz Afrikas sie aufgenommen.

Nachtrag
    »Der letzte Tag der Schöpfung« - revisited
    »Seit ich Ihren Roman gelesen habe«, sagte die alte Dame, die jedes Jahr mit Begeisterung ihr Lieblingsland Italien bereiste, »überkommt mich, wenn ich eine Küstenstraße entlangfahre,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher