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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung
Autoren: Wolfgang Jeschke
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Sattel ein. Er spürte die gemächlich ruckelnde Bewegung des Kamels, das sich schnaubend und mit sicherem Tritt seinen Weg in die Salzpfanne der Westsenke suchte. Die Hänge, einst sonnenverbrannt und von staubigen Dornefeu-Büschen bewachsen, zeigten nun zartes Grün, so weit das Auge reichte. Wenn Südwind wehte, zogen die Nebel nordwärts und benetzten die Hänge des Plateaus der Pyrenäischen Halbinsel. Die meisten Pflanzen, die ursprünglich hier in Trockenheit auf dem salzigen Boden des einstigen Meeres ihr Dasein gefristet hatten, gingen ein unter dem Hauch der Feuchtigkeit; neue fassten Fuß und siedelten sich an.
    Ganz Europa würde bald ein anderes Gesicht zeigen. In die Palmenhaine nördlich der Alpen würde Schnee fallen, die riesigen Antilopen-und Gnuherden Europas würden nach Süden ziehen, und mit ihnen die Löwen, die Tiger, die Leoparden und andere Raubtiere, soweit sie schon auf Darwins Palette existierten. Nur die Mastodonten würden bleiben, bis sie einst durch Wälder zogen, die in Schnee ertranken, verzweifelt auf der Suche nach Nahrung, weil ihnen der Weg in die Weidegründe Afrikas durch die Wassermassen des Mittelmeers versperrt war. Und eines Frühjahrs, nach einem langen unerbittlichen Winter, würden sie ausgestorben sein.
    Auch die Vorfahren des Menschen würden bleiben, die Boisei ebenso wie die Knirpse, und sie würden sich in Eis und Kälte zu behaupten lernen. Und wenn sie nach Süden zogen, den wandernden Herden auf der Fährte, würden sie es lernen Hindernisse zu überwinden. Ja, es würde die wichtigste Aufgabe der menschlichen Rasse werden Hindernisse zu überwinden. Und dabei würde sie immer größere Fertigkeiten entwickeln. Schließlich würde es keine unüberwindlichen Hindernisse mehr geben: feindliche Umwelt, Gebirge, reißende Bäche, Kälteeinbrüche, Wasserflächen, Gegner aus Zähnen und Krallen, Fleisch und Bein, dann der Raum, schließlich die Zeit; aber immer wieder würde der Mensch, wohin er auch kam, auf ein Hindernis treffen, das ihn bis zur Raserei herausforderte - sich selbst.
    Steve blickte auf, stopfte sich das Mundtuch seitlich unter den Turban. Seit zwei Wochen ritten sie nun durch einen Herbst, der sich wie ein endloser Sommer gebärdete. Goodluck schlief seinen unruhigen Schlaf; Davy trottete voraus, immer parallel zum Ufer der Wasser, die einst zum Mittelmeer werden würden, die jedes Jahr um einen Meter und später schneller steigen würden, wenn die Katarakte von Gibraltar sich tiefer ins Gestein gefressen und die Bresche zur Meeresstraße ausgewaschen hatten. Trotzdem würde es ein ganzes Jahrtausend dauern, bis sich das gewaltige Becken füllte, und noch in zwei Jahrhunderten würde es südlich von Sardinien und von Sizilien Landbrücken nach Afrika geben, über die sich Tiere in wärmere Gefilde retten konnten, bevor über Europa die Jahrmillionen währende Kette von Eiszeiten hinwegging, die bis in die ferne Gegenwart reichte und deren mächtige Eiszungen fast alles Leben nördlich der Alpen erstarren ließen.
    Steve spürte, wie das Packtier mit dem travail ein wenig zurückblieb, und fasste die Zügel fester, mit denen es an seinem Sattel angebracht war.
    »Komm!«, sagte er. Er drehte sich nicht um, sondern ritt geradeaus nach Osten, der aufsteigenden Sonne entgegen.
    Am Abend des achtzehnten Tages erreichten sie die Mündung des Almeria. Die Barke lag noch fest vertäut an den versinkenden Bäumen, wie sie sie zurückgelassen hatten. Steve trieb die Kamele auf die Weide, damit sie sich voll fraßen.
    Aus Stricken bastelte er ein provisorisches Geschirr, spannte eins der Kamele an das Haltetau der Barke und zog sie näher ans Ufer. Dann bereitete er an Deck aus Matten und Segeltuch ein bequemes Lager und trug Goodluck an Bord. Sein Zustand war jämmerlich. Eine der Wunden an seinem Oberschenkel sah schlimm aus und hatte zu eitern begonnen. Das Bein war angeschwollen. Er konnte nicht mehr gehen, kaum noch kriechen.
    Nachdem Steve alle verfügbaren Schläuche mit Frischwasser gefüllt hatte, brachte er die Tiere einzeln an Bord, band sie fest und machte die Taue los. Dann zog er das Segel an den Winschen in die Höhe - es blähte sich nur zögernd im schwachen Westwind - und steuerte hinaus in die Strömung. Er band das Ruder fest, wie der Kapitän ihm geheißen hatte, warf Fangleinen aus dem Heck und setzte sich neben Goodluck. Er untersuchte die stinkende Wunde, wusch den Eiter ab, und bettete das Bein hoch, damit die Schwellung
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