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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche
Autoren: Aris Fioretos
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sou, Janni. «
    SCHLUSS DES INTERVIEWS MIT DER LIEBSTEN .
    DIE KREBSKRANKE : Damit endete ein Leben …
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Und nun endet das, was damals begann.
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Wir hatten eine gute Zeit zusammen, nicht wahr?
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Du bist der erste Mann, den ich selbst gewählt habe. Und mein letzter Grieche. (Lächelt.) Ich bereue nichts, hörst du? Als ich dir im Athenäum zuhörte, kam es mir vor, als würde sich die Welt ordnen. Auch wenn du ein bisschen forsch warst (sanftes Lachen) , war es ein phantastisches Gefühl, gesehen zu werden. O, Kostas, o mein neuer Kontinent. (Schluchzer.)
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Ich bereue vieles, aber nichts so sehr, dass ich es ungeschehen machen möchte. (Schnupft.) Halt mich fest. ( DER ZUHÖRER legt den Arm um DIE KREBSKRANKE. Sie liegen regungslos in dem Krankenhausbett mit der gelben Tagesdecke. Da die Matratze in einem sanitären Plastiküberzug steckt, knarrt sie, wenn sie atmen. ) Versprichst du mir, mich nicht falsch zu verstehen?
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Ich liebe nur dich. (Legt den Kopf bequemer.) Aber ich mochte ihn sehr, verstehst du?
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Und es tat mir von Herzen weh, ihn so traurig zu sehen. Er war wie Rauch, als er da im Flur stand. Es gab nirgendwo eine Mitte. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn es Jane nicht gegeben hätte. (Erneute Pause.) Ich habe das nie jemandem gesagt, aber nur aus diesem Grund ließ ich zu, dass er sie mitnahm. Wegen dieses Rauchs, weißt du?
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Ich war doch nur ein Mädchen. Dreiundzwanzig Jahre alt! Hätte es die Scheidung nicht gegeben, wäre ich untergegangen. Früher oder später. Das weiß ich einfach. Und was wäre ich dann für eine Mutter gewesen?
    Langes Schweigen .
    DER ZUHÖRER : Mm.
    DIE KREBSKRANKE : Aber als er zugab, dass er ein Loch in das Kondom gestochen hatte, habe ich einen Tobsuchtsanfall bekommen. Ich wusste nicht, wohin mit mir. Riss Gardinen herunter, schmiss Teller, schrie, bis mir die Luft wegblieb. Das war wirklich der Gipfel. Ich hätte ihn umbringen können …
    DER ZUHÖRER : Mm.
    Noch längeres Schweigen.
    DIE KREBSKRANKE : Ich möchte, dass du erzählst, warum alles kam, wie es kam. Versprichst du mir das? Wenn ich … wenn ich nicht … Du weißt, was ich meine. Wenn ich nicht mehr bin, wie ich jetzt bin. Kannst du mir bitte versprechen, dass du dann erzählst, warum alles kam, wie es kam? Ich glaube, sonst ertrage ich es nicht zu verschwinden. Warte … Weinst du?
    DER ZUHÖRER : M- … Un-un.
    VIELE JAHRE ZUVOR . »Hör auf zu fragen, Jannis. Ich kann nichts dazu sagen. Bitte. Hör auf.«
    DIESE JÄMMERLICHE SACHE. Die Wochen, die in Delphi auf die Apokalypse folgten, waren ein Nebel aus Vorwürfen und Kopfschmerzen. Irgendwann rief Jannis Efi an, aber als sie sich meldete – »Hallo? Wer ist da? Sagen Sie was … Jetzt sagen Sie doch etwas …« – erkannte er, was er da tat, und legte auf. Daraufhin beschloss er, das Geschehene nur Doktor Florinos gegenüber zu erwähnen. Mit Hinweis auf dessen Schweigepflicht. Wenn er nicht arbeitete oder sich um Jannoula kümmerte, wenn er nicht im städtischen Hallenbad Bahnen mit einer Zielstrebigkeit schwamm, die ihm selber Angst machte, wenn er nicht trank und auch nicht die Kraft hatte, sich mit Agneta zu streiten oder auch nur an Jannoula zu denken – dann irrte er durch die Stadt. Er ging, bis die Schuhe nass und fremd wurden, bis das Geschlecht in seiner Hose so schutzlos wurde wie eine kalte Feige, bis sich sein Gesicht in eine Maske aus Knochen und unfreiwilligen Tränen verwandelt hatte. Die Grübchen, die man auf seinen Wangen sah, standen nicht für Glück. Er ging an langhaarigen Jugendlichen vorbei, die in Treppenaufgängen rauchten, er ging an Studentinnen vorbei, die ihre Bücher an die Brust pressten wie Ikonen, er ging an Männern mit Mützen vorbei, die mit einem Fuß auf dem Bürgersteig und der Aktentasche am Lenker auf Fahrrädern balancierten, während sie mit anderen Männern sprachen. Er ging, die Fäuste in seine Jackentaschen geschoben, den Reißverschluss bis zum Hals zugezogen, die Haare wirr. Er ging, um zu vergessen oder sich zu erinnern, um sich selbst zu verlassen oder zu sich zu finden – er konnte nicht sagen was von beidem, und so lange er unfähig war zu entscheiden, was zutraf, beabsichtigte er, immer weiter zu gehen.
    Viel unsortiertes Material
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