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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche
Autoren: Aris Fioretos
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Straßengraben verliefen, von Zeit zu Zeit mündeten, nachdem sie auf die andere Straßenseite geleitet worden waren. Anfangs waren diese Bögen Jannis geheimnisvoll erschienen, nachdem er so oft in der Landschaft unter ihnen hindurch gefahren war, hatte er sie jedoch gründlich satt. In der Kurve vor ihm, noch außer Sichtweite, machte in diesem Moment ein schmutziggelber Transporter Anstalten, einen marineblauen Lastwagen zu überholen, dessen Plane den Fahrer irritierte, weil immer wieder Sand herauswirbelte und gegen seine Windschutzscheibe klatschte. Unser Held bereute, dass er in Kauders Heimatstadt keine Pause eingelegt hatte. Er hätte gerne ein Restaurant besucht, für Jannoula ein Gläschen Brei erwärmt und eine anständige Mahlzeit zu sich genommen – vielleicht sogar versucht, Kauders im Telefonbuch zu finden. Während er über den hartnäckigen Schmerz in seinem Arm stöhnte, suchte er mit der anderen Hand nach einem neuen Streichholz. Es gab keins in der linken Jackentasche, keins in der rechten. Er dachte, sobald sie zur Autobahn zurückgefunden hatten, würde es wohl eine Tankstelle geben. Als er die Hand in die Innentasche steckte, trat er aus Versehen nicht auf die Bremse, sondern aufs Gaspedal. Das Auto machte einen Satz, seine Tochter wachte auf. Gleichzeitig überholte der Transporter den Lastwagen. Die Sonne funkelte in den doppelten Gasleitungen über der Straße, die Fahrzeuge befanden sich hundertdreißig Meter voneinander entfernt. Bald waren es neunzig. Dann siebzig.
    Drei Sekunden verstrichen. (Tzack-Tzack.)
    Als der Lieferwagen vor dem wild hupenden LKW einschwenkte und beide in einer Wolke aus wutentbrannt schreiendem Blech an dem Saab vorbeidonnerten, zog Jannis nach rechts. Wegen des angeschlagenen Arms lenkte er schlechter als sonst. Die schweren Gegenstände im Kofferraum taten das ihre dazu. Der Ausländer rutschte mit schräg gestellten Rädern über den nassen Asphalt, die Gasleitungen rückten immer näher. Einen schwebenden Augenblick lang dachte er an spiegelblankes Eis und grüne Augen, an saftiges Gras und bunte Holzkugeln. Dann wurde alles dunkel.
    Danach war die Zeit für die letzte Heldentat gekommen.
    STATT EINES EPILOGS. Nachdem wir diese leblosen Karteikarten durchgeblättert haben, scheuen wir uns zu tun, was wir tun müssen, so lange noch Zeit ist. Aber. Wir müssen. Die Details nennen:
    256 Zentimeter, 74,5 Kilo.
    Zweieinhalb Quadratmeter Haut.
    Vier Augen: zwei grüne, zwei schwarze. Alle olivenförmig.
    Heldenkinne, zwei.
    Vier Lachgrübchen, allesamt unsichtbar.
    Zweiunddreißig Zähne, verteilt auf einen Mund.
    Zwei Münder.
    Ein Wort. » Jannoúla .« Nein, nicht einmal das. Ein halbes: » Jann- «.(Wir lassen das Wort in dieser Weise offen, mit seiner Andeutung einer Handlung, die unvollendet bleiben wird, obwohl sie geendet hat.)
    Zwanzig Finger, zwanzig Zehen, mehrere Knochenbrüche.
    Zwei Spatzen.
    Aber nur ein Paar gebrochene Flügel.

Über den Autor
    Aris Fioretos
    Aris Fioretos , 1960 in Göteborg geboren, ist schwedischer Schriftsteller griechich-öterreichischer Herkunft. Zuletzt erschienen die Romane Die Seelensucherin (2000) und Die Wahrheit über Sascha Knisch (2003) sowie bei Hanser Das Maß eines Fußes (Essays, 2008) und Der letzte Grieche (Roman, 2011). 2010 hat er die erste kommentierte Werkausgabe von Nelly Sachs sowie eine Bildbiographie über die Autorin veröffentlicht. Für seine Übersetzungen – er übertrug u. a. Paul Auster, Hölderlin und Nabokov ins Schwedische – wie für seine eigene Literatur hat er zahlreiche Preise und Stipendien erhalten. Aris Fioretos lebt in Berlin.
    Bibliographie
    Im Carl Hanser Verlag erschienen
    2008 Das Maß eines Fußes. Aus dem Schwedischen von Paul Berf
    2011 Der letzte Grieche. Aus dem Schwedischen von Paul Berf
    Weitere Veröffentlichungen (Auswahl)
    2000 Die Seelensucherin. Roman
    2003 Die Wahrheit über Sascha Knisch
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