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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition)
Autoren: Zoran Drvenkar
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Beleidigung war. Nein, das hier sah ich als ein Soloprojekt, das ich alleine meistern musste. Und so beschloss ich, die Nacht durchzumachen und am Morgen wie üblich zum Frühstück runterzugehen. Wenn du aufwachst, wirst du tot sein , klingt nur halb so bedrohlich, wenn du dir das Aufwachen sparst. Oder wie Lars sagen würde: Wer zu viele Filme sieht, ist selber schuld.
    Um halb fünf schmerzte mein Nacken so sehr, als hätte mir jemand einen Kühlschrank um den Hals gebunden. Von draußen starrte mich die Morgendämmerung mit einem halb geöffneten grauen Auge an und gähnte. Die ersten Vögel erwachten, die ersten Autos setzten sich in Bewegung, noch war kein Jogger unterwegs. Nur zögerlich schälten sich die Straßen und Häuser aus der Dunkelheit und wirkten dabei unscharf und pixelig.
    Ich war allein und müde, ich fühlte mich fiebrig und musste dringend aufs Klo. Also Kommode zur Seite, ab ins Bad und dann zurück ins Zimmer. Ich war so erschöpft, dass ich nicht einmal die Kraft hatte, die Kommode wieder vorzuschieben. Ich hatte nur noch ein Ziel vor Augen und das Ziel war mein Bett.
    Liegen, einfach nur liegen.
    Als wir in das Haus eingezogen waren, bestanden meine Eltern darauf, dass ich ein separates Schlafzimmer bekam. Nicht dass jetzt irgendjemand denkt, ich wäre in einer Villa mit Swimmingpool und Gärtner aufgewachsen. Das Haus war unscheinbar und stand in einer schmalen Seitenstraße, in der die Autos auf den Bürgersteig ausweichen mussten, sonst kamen sie nicht aneinander vorbei. Mein sogenanntes Schlafzimmer war eine Nische und der Eingang ein Torbogen, der von meinem Zimmer abging. Meine Eltern waren der Meinung, Arbeit und Schlaf sollten getrennt werden, was mir natürlich gefallen hat. Wer sagt schon Nein zu zwei Zimmern, auch wenn das zweite Zimmer gerade Platz für ein Bett bietet.
    Ich ließ mich auf die Matratze fallen. In zwei Stunden würde mein Vater aufstehen, bis dahin musste ich durchhalten. Es war keine große Herausforderung. Lars und ich hatten unzählige Nächte durchgemacht. Die letzte lange Nacht war keine Woche her. Da saßen wir vom frühen Nachmittag an im Cineplex am Potsdamer Platz und sind von einem Kinosaal zum anderen gewandert, ohne dass einer der Angestellten kapiert hätte, dass wir Filmzombies waren. Der Name ist von Lars. Ein Filmzombie taumelt von Film zu Film und sieht alles gratis, egal ob es ihm schmeckt oder nicht. Nur ein Kopfschuss kann ihn aufhalten oder ein Kartenabreißer, der den Trick durchschaut. An diesem Tag hatten wir Glück, aber nach dem vierten Film konnten selbst wir nicht mehr und sind eingeschlafen und in totaler Dunkelheit erwacht. Wir sind der Notbeleuchtung gefolgt und kamen in ein verlassenes Foyer. Es war nach eins und wir waren in einem Cineplex eingeschlossen. Als Erstes haben wir uns was zu trinken geholt, dazu gab es Popcorn und Eis. Bis fünf Uhr morgens hockten wir in einem der Säle und palaverten über das Leben. Als die Putzkolonne kam, haben wir sie mit einem Nicken begrüßt und sind an ihnen vorbei in die Freiheit marschiert. Durchwachte Nächte sind also nicht mein Problem. Ich kann da sehr zäh sein. Auch wenn der Rücken schmerzt, auch wenn die Augen brennen. Deswegen waren die nächsten Stunden keine wahre Herausforderung für mich. Ich stauchte die Kissen im Rücken zusammen, lehnte mich dagegen und blätterte einen Comic auf. Meine Finger klebten sofort an den Seiten fest.
    Verdammt, das ist doch ein Fieber, dachte ich, wahrscheinlich eine Sommergrippe, oder ich habe mir einen Virus eingefangen, der per Mail verschickt wird.
    Ich lachte bei dem Gedanken, und das ist eins von den Bildern, die ich mir rahmen möchte: ein übermüdeter Junge, der blöde vor sich hin kichert und dabei in einem Comic blättert. Im Nachhinein würde ich gerne die Uhr zurückdrehen, um diesen Motte länger zu betrachten. Mit all seinen Macken, seiner Trägheit und seiner Zuversicht, dass er alles packt, was auf ihn zukommt. Zu dem Zeitpunkt wusste ich leider nicht, was auf mich zukam. Ich wusste nur, dass es eine schwüle Nacht war und dass sich meine Zunge anfühlte wie Schmirgelpapier. Also beschloss ich, mir etwas zu trinken zu holen.
    Ich brauche kaltes Wasser, denn ich habe so einen Durst, dass ich …
    Mit diesem Gedanken war Schluss. Ich konnte nicht mehr. Meine linke Hand tastete und fand die Lampe neben dem Bett. Das Licht ging aus. Mehr konnte ich nicht tun. Mir fehlte sogar die Kraft, den Arm erneut zu heben und den Comic zur Seite
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