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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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genannten Waffenlager stammte.
     
     
    Genau zwei Wochen später kam es zu einem weiteren bedeutsamen Ereignis, das zwar nicht wie Chris’ Ermordung die Nation erschütterte, mich aber tief berührte. Oliver hatte sich seit längerer Zeit nicht wohl gefühlt, doch der Anfall, der ihn tötete, kam plötzlich und ohne Warnung. Seine Frau Adelaide rief mich früh am Morgen an, und ich eilte an Olivers Bett. Doch ich hatte keine Gelegenheit, ihm auf Wiedersehen zu sagen, denn er war bereits von uns gegangen.
    Der Philosoph Plato unterteilt in seiner Allegorie von den Metallen die Menschen in Gruppen aus Gold, Silber und Blei. Danach war Oliver pures Gold; er war Gold in seiner intellektuellen Brillanz, Gold in seiner Wärme und Menschlichkeit, Gold in seiner Toleranz und Großzügigkeit, Gold in seiner unerschütterlichen Loyalität und Opferbereitschaft. Wie sehr ich ihn als Führungspersönlichkeit schätzte, so sehr liebte ich ihn als Menschen.
    Wenngleich wir in all den Jahren, die ich im Gefängnis war, voneinander getrennt waren, so war Oliver doch meinen Gedanken niemals fern. Auf vielfältige Weise führte ich, auch wenn wir getrennt waren, ein lebenslanges Gespräch mit ihm in meinen Gedanken. Vielleicht fühlte ich mich deshalb so verwaist, als er starb. Ich fühlte mich, wie ich einem Kollegen erklärte, als der einsamste Mann der Welt. Es war, als wäre er gerade in dem Augenblick fortgerissen worden, als wir endlich wieder vereint waren. Als ich ihn in seinem Sarg liegen sah, war mir, als sei ein Teil von mir gestorben.
    Obgleich wir noch nicht an der Macht waren, wünschte ich für Oliver ein Staatsbegräbnis, und genau das gab ihm der ANC. Auf einer Massenversammlung im Stadion von Soweto kamen Hunderte von Amtsträgern ausländischer Regierungen zusammen, um ihren Respekt jenem Mann zu zollen, der den ANC während der Jahre seines Exils am Leben erhalten hatte. MK-Truppen marschierten zu seinen Ehren, und an seinem Grab wurde ein Salut von 21 Schuß gegeben. Oliver hatte erlebt, daß die Gefangenen freigelassen wurden und die Exilierten zurückkehrten, doch er hatte nicht mehr erlebt, wie er in einem freien und demokratischen Südafrika seine Stimme abgab. Das war unerfüllt geblieben.
     
     
    Wenngleich sich nur wenige Menschen an den 3. Juni 1993 erinnern werden, so war er doch ein Meilenstein in der Geschichte Südafrikas. An jenem Tag einigte sich nach Monaten der Verhandlungen im World Trade Centre das Mehr-Parteien-Forum auf ein Datum für die erste nationale, nichtrassische, allgemeine Wahl des Landes: auf den 27. April 1994. Zum erstenmal in der Geschichte Südafrikas würde die schwarze Mehrheit zu den Wahlurnen gehen, um ihre eigenen Führer zu wählen. Laut Vereinbarung sollten die Wähler 400 Abgeordnete in eine verfassunggebende Versammlung wählen, die sowohl eine neue Verfassung entwerfen wie auch als Parlament fungieren sollte. Nach dem Zusammentritt würde die Versammlung als ersten Geschäftsordnungspunkt einen Präsidenten wählen.
    Die Gespräche waren im April wiederaufgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt waren unter den 26 Parteien die Inkatha, der Pan African Congress und die Conservative Party. Wir hatten die Regierung seit Monaten bedrängt, einen Termin festzulegen, doch sie hatte auf Zeit gespielt. Doch nun stand der Termin ehern fest.
    Einen Monat später, im Juli, hatte sich das Mehr-Parteien-Forum auf einen ersten Entwurf für eine Interimsverfassung geeinigt. Vorgesehen waren ein Zwei-Kammer-Parlament mit einer aus 400 Abgeordneten bestehenden Nationalversammlung, die nach der Verhältniswahl von nationalen und regionalen Parteilisten zu wählen wären, und ein durch die Regionallegislativen indirekt zu wählender Senat. Die Wahlen zu den Regionalparlamenten sollten zur gleichen Zeit wie Nationalwahlen stattfinden, und die Regionalparlamente sollten ihre eigenen, mit der Nationalverfassung in Einklang stehenden Verfassungen beschließen können.
    Häuptling Buthelezi forderte eine Verfassung, die vor der anstehenden Wahl verabschiedet würde, und verließ die Verhandlungen aus Protest gegen die Festsetzung eines Wahltermins vor Verabschiedung einer Verfassung. Ein im August vorgelegter zweiter Entwurf für eine Interimsverfassung, der den Regionen größeren Einfluß einräumte, entsprach weder den Wünschen von Häuptling Buthelezi noch denen der Conservative Party. Die Konservativen bezeichneten die Resolutionen als feindselig gegenüber den Interessen der Afrikander.
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