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Der Kugelfaenger

Der Kugelfaenger

Titel: Der Kugelfaenger
Autoren: L. S. Rydell
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sie drüber. Dann geht er zur Wohnungstüre. Er öffnet sie und geht hinaus, doch als er die Türe schon hinter sich zuziehen will, bemerkt er, dass er seinen Helm vergessen hat. Und anstatt dem Schlüssel von seinem Motorrad hat er die Schlüssel von seinem alten Toyota eingesteckt, den er vor knapp zwei Jahren hat verschrotten lassen. Er geht also zurück in die Küche und öffnet eine leere Keksdose, wo er
normalerweise
die Schlüssel aufbewahrt. Was er dort allerdings sieht, ist ernüchternd. Die Dose ist nämlich bis auf einen Flaschenöffner und einen zerlegten Kugelschreiber leer. Seine Schlüssel liegen nicht darin.
    Er lässt den Deckel geräuschvoll zufallen und runzelt die Stirn. Es hilft alles nichts, er muss sich wohl oder übel auf die Suche machen. Also versucht er sein Gehirn anzustrengen, wo er seine Schlüssel sonst noch hingelegt haben könnte.
    Doch so sehr Tom sein Hirn strapaziert, er kann sich an nichts mehr erinnern, was er gestern gemacht hat. Weder an den Morgen, geschweige denn an den Abend. Er hat nur äußerst wage Bilder in Erinnerung.
    Oh, Gott. Leide ich vielleicht jetzt schon an Gedächtnisschwund?
    War gestern nicht Steve hier?
    Diese Tatsache würde zumindest seine verdammten Kopfschmerzen erklären.
    Er hat keinen blassen Schimmer wo seine Schlüssel sein könnten. Also sucht er erst einmal die Küche ab. Doch der Schlüssel vom Motorrad ist nicht in der Kaffeedose, nicht in der Schublade mit Besteck und genauso wenig im Brotkasten.
    Als nächstes nimmt er sich das Wohnzimmer vor. Doch schon in der Tür bleibt er wie angewurzelt stehen. Er kneift seine Augen einen Moment lang zusammen und öffnet sie wieder. Doch das Bild, das sich ihm bietet, bleibt. Das Wohnzimmer sieht aus, als hätte eine mordsmäßige Party stattgefunden. Decken und Kissen vom Sofa liegen am Fußboden verteilt, der einzige Sessel liegt umgekippt mitten im Raum, das niedrige Sofatischchen ist so mit leeren Flaschen und Pizzaschachteln zugestellt, dass man nicht mehr viel davon sieht. Pizza ist auf die Couch geschmiert, Rotwein hat sich im Teppich festgesaugt, sodass es aussieht, als wäre hier jemand verblutet. Und dazwischen liegen Socken, Zigarettenkippen und Stöckelschuhe. An der Wand liegen zerschmetterte Teller und Gläser am Boden und zwei gerahmte Bilder vom Empire State Building und der Freiheitsstatue befinden sich mit zerbrochener Glasabdeckung irgendwo dazwischen.
    Tom balanciert auf einem schmalen Pfad durch das Chaos und nimmt eine der Flaschen vom Tisch. Sie trägt wie die anderen kein Etikett und der klare Inhalt riecht wie reiner Alkohol. Ihn erinnert das stark an schwarz gebrannten Schnaps.
    Tom öffnet zuerst das Fenster und entsorgt danach die leeren Schnapsflaschen. Dann entfernt er die Pizzaschachteln und die Tomatensoße vom Sofa. Als er den Rest auch aufgeräumt hat, hat er seinen Motorradschlüssel noch immer nicht gefunden. Er arrangiert sich mit der Tatsache, dass er heute wohl oder übel mit der U-Bahn fahren muss.
    Er verlässt die Wohnung und geht das Treppenhaus vier Stockwerke nach unten. Es ist wie meistens ziemlich still. Nur irgendwo weiter oben kann er ein kleines Kind weinen hören. Er ist der einzige Weiße in diesem Wohnblock, aber fast genauso pleite wie die anderen.
    Im Hinterhof angekommen, geht er zu seiner schwarzen Yamaha YZF 1000 R, Schaltgetriebe, hundertfünfundvierzig PS, sechs Gänge. Er hat die damals zehn Jahre alte Maschine letztes Jahr für etwas mehr als dreitausend Dollar gekauft, bei einem damaligen Kilometerstand von sechzigtausend.
    Tom geht aus einem unerfindlichen Grund zu seinem an der Hausmauer stehenden Motorrad. Und da sieht er es: Der Schlüssel, den er gesucht hat, steckt noch im Zündschloss.
    Wie lange wohl schon?
    Aber er sieht auch noch etwas anderes. Mit gerunzelter Stirn kniet er sich neben seine Yamaha. Zwischen all den anderen Beulen und Kratzern, thront ein noch viel längerer im schwarzen Lack. Tom fährt ihn vorsichtig mit dem Zeigefinger nach. Der Kratzer ist sehr tief. Und lang. Sein Magen krampft sich zusammen.
    Tom kennt seine Kratzer. Und der Fette war gestern ganz bestimmt noch nicht da.
    Aus den Augenwinkeln sieht er aber noch etwas anderes: Das Rücklicht. Toms Magen krampft sich erneut zusammen, diesmal aber nicht wegen den Nachwirkungen des Alkohols. Er richtet sich wieder auf und sieht sich das Rücklicht an. Es ist total kaputt, eingedrückt und zerbrochen. Das Metall des Nummernschildes ist verbeult und zerdrückt.
    Tom
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