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Der kuerzeste Tag des Jahres

Der kuerzeste Tag des Jahres

Titel: Der kuerzeste Tag des Jahres
Autoren: Ursula Dubosarsky
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Notizbuch, nachdem sie die Unterhaltung belauscht hatte. Zufrieden begutachtete sie die Seite, ziemlich stolz auf das welchen. Theodora liebte Grammatik.
    Zwei Wochen nach diesem ersten Treffen im Supermarkt kam Randolph nach dem Mittagessen zu Besuch. Wenn Elkanah unterwegs war, lud Hannah häufig Freunde zum Kaffeetrinken ein. Es war langweilig allein in dem stillen Haus zu sitzen und über all die traurigen Dinge nachzudenken, die sie an einem Arbeitstag im Krankenhaus gesehen hatte. Diesmal war Elkanah in Brisbane, wo er in Orpheus in der Unterwelt auftrat.
    Theodora und Samuel waren oben, als es klingelte. Als Theodora später nach unten ging, um sich etwas zu trinken zu holen, stieß sie in der Küche auf Hannah und Randolph. Hannah trank Sherry, und Randolph reparierte ihre Kaffeemühle mit einem kleinen Satz Schraubendreher, den er in der Manteltasche mit sich herumtrug. Bald wurde es zur Gewohnheit, dass Randolph bei seinen Besuchen etwas reparierte. Man musste nur irgendetwas erwähnen, das kaputt war oder nach dem mal gesehen werden musste, und seine Augen begannen zu leuchten.
    »Hallo auch!«, sagte Randolph, glatzköpfig und strahlend, die Finger voller Kaffeepulver. »Kennst du mich noch?«
    »Jep«, sagte Theodora entgegenkommend. »Wie geht es Ihnen?«
    »Ganz gut, danke der Nachfrage, ganz gut«, antwortete Randolph Butcher.
    Für einige Zeit wurden die Unterhaltungen mit Randolph kaum interessanter, obwohl Theodora manchmal hörte, wie Hannah sich bis tief in die Nächte hinein murmelnd mit ihm unterhielt, also musste er wohl doch etwas mehr zu sagen haben. Vermutlich bloß nicht zu ihr, überlegte sie. Es machte ihr nichts aus. Sie trug alles in ihr Notizbuch ein.
    Randolph war hier und hat ein paar Sachen repariert. Er und Hannah haben ferngesehen.
    Das war typisch für Theodoras Notizbücher. Sie schrieb die Dinge einfach auf und wartete, bis sich ein Muster abzuzeichnen begann.
    Randolph besuchte sie wieder, und wieder. Meistens nach dem Mittagessen, unter der Woche. Samuel und Theodora gewöhnten sich schnell an ihn. Theodora unterhielt sich jetzt öfter mit ihm. Eigentlich war er ziemlich interessant, stellte sie fest. Er las jede Menge Heimwerkerbücher und war gut in Kreuzworträtseln. Wenn sie ihn an der Haustür hörte, stürmte Theodora die Treppen nach unten, begrüßte ihn und vertrieb sich mit ihm die Zeit in der Küche, bis Hannah ihr befahl zu verschwinden und Hausaufgaben zu machen.
    Meistens schaute Randolph rein, wenn Elkanah irgendwo außerhalb Auftritte hatte Was nur normal war, da Hannah sich zu solchen Zeiten am einsamsten fühlte. Randolph war nett, rief Theodora sich ins Gedächtnis, bloß: Wer brauchte einen Randolph Butcher, wenn er einen Elkanah haben konnte? Sie konnte sich sowieso nicht vorstellen, dass die beiden Männer gut miteinander klarkommen würden – Randolph mochte keine Opern, und Elkanah war als Handwerker nicht zu gebrauchen. Worüber sollten sie reden? Hannah konnte mit jedem reden. Als Psychiaterin war sie sehr aufgeschlossen.
    Manchmal trafen Hannah und Randolph sich zum Mittagessen. Theodora bekam mit, wie sie sich am Telefon verabredeten. Sie fragte sich, wo die beiden wohl hingehen mochten – in einen Park auf ein gemeinsames Sandwich, oder vielleicht eher in ein schickes Restaurant? Ein schickes Restaurant wäre allerdings, da Hannah so wenig aß, die pure Verschwendung. Vielleicht gingen sie in eines von diesen Cafés, wo man draußen sitzen konnte, wie die Leute in der Werbung, mit Kellnern in schwarzen Hosen, die sich mit weißen, über den Unterarmen drapierten Handtüchern unterwürfig herabbeugten um Getränkewünsche entgegenzunehmen und die all die hübschen Frauen bewunderten.
    War Hannah eine hübsche Frau? Theodora war noch nie auf die Idee gekommen, sich diese Frage zu stellen. Aber jetzt überlegte sie.
    »Findest du Hannah hübsch?«, fragte sie Samuel eines Morgens auf dem Weg zur Schule.
    »Nein«, sagte Samuel.
    »Manche Leute könnten sie für hübsch halten«, mutmaßte Theodora. »Männer, du weißt schon.«
    »Also, ich finde sie jedenfalls nicht hübsch«, war Samuels einzige Antwort, und er kickte ganz bewusst die Spitze seines schwarzen Schuluniformschuhs in den Beton des Gehsteigs.
    Schon der bloße Gedanke an Randolph Butcher erfüllte Samuel mit Furcht, aber das würde er Theodora nicht verraten. Es war einfach zu albern, zumal das, was ihn an Randolph am meisten Angst einjagte, dessen Nachname war: Butcher – Metzger.
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