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Der krumme Hund

Der krumme Hund

Titel: Der krumme Hund
Autoren: Roald Dahl
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regten sich nicht, und auf der andern Seite der Straße lehnte sich Claud reglos an die rote Säule. Es war plötzlich so still, daß man weit unten im Tal, auf dem nächsten Bauernhof, eine Frau die Leute zum Essen rufen hörte.
    Und dann wieder Rummins, der seinen Jungen anschrie, obwohl gar kein Anlaß zum Schreien bestand: «Los, mach weiter! Schneide doch mitten durch, ein Stückchen Holz wird dem Messer nichts schaden.»
    Aus irgendeinem Grunde, als witterte er vielleicht Gefahr, kam Claud herübergeschlendert und lehnte sich neben mir ans Gatter. Er sagte nichts, doch kam uns beiden an diesen zwei Gestalten etwas verdächtig vor, namentlich an Rummins selber. Rummins war verängstigt. Bert ebenfalls. Und wie ich ihnen so zuschaute, meldete sich in mir undeutlich eine Erinnerung, derer ich nicht ganz habhaft werden konnte. Verzweifelt suchte ich sie ins Bewußtsein heraufzuholen. Einmal hatte ich sie beinahe gefaßt, aber sie entglitt mir wieder, und als ich ihr nachging, schweiften meine Gedanken weit zurück, zurück in die goldenen Tage des Sommers, als ein warmer Südwind das Tal herunterwehte, die alten Buchen sich schwer mit ihrem Laubwerk trugen, die Felder anfingen, gelb zu werden - die Ernte, das Heuen, der Heustock - das Aufbauen des Heustocks.
    Sogleich gab es mir einen Stich in der Magengrube.
    Ja - das Aufbauen des Heustocks. Wann hatten wir ihn denn aufgebaut? Im Juni? Klar, an einem heißen, schwülen Tag im Juni, als eine Wolkendecke niedrig am Himmel hing und ein Gewitter in der Luft lag.
    Und Rummins hatte gesagt: «Macht, daß wir es unter Dach kriegen, bevor der Regen kommt.»
    Und der alte Jimmy hatte gesagt: «Es wird nicht regnen. Wozu die Eile? Wenn es im Süden gewittert, kommt es nie zu uns ins Tal herüber.»
    Rummins, der auf dem Wagen stand und die Heugabeln verteilte, hatte keine Antwort gegeben. Er war höchst mißlaunig, da er das Heu unbedingt noch ein-bringen wollte, bevor es zu regnen anfing.
    «Bis zum Abend kriegen wir keinen Regen», hatte der alte Jimmy nochmals behauptet, mit einem Blick auf Rummins, der den Blick wütend erwiderte.
    Den ganzen Vormittag hatten wir ohne Unterbrechung gearbeitet, indem wir das Heu auf den Karren luden, diesen über die Wiese schoben und das Heu gabelweise auf den allmählich wachsenden Stock schichteten. Wir hörten es im Süden donnern; das Gewitter kam näher und verzog sich dann wieder. Dann rückte es wieder heran und blieb eine Zeitlang auf der andern Seite der Hügel. Wenn wir zu den Wolken aufschauten, konnten wir sie dahinziehen und durcheinanderwogen sehen; doch auf dem Boden war es heiß und schwül und es wehte kein Lüftchen. Bei der drückenden Hitze arbeiteten wir langsam und unfroh, mit Gesichtern, die glänzten vor Schweiß, und Hemden, die am Leibe klebten.
    Claud und ich hatten neben Rummins auf dem Heustock selber geholfen, und ich wußte noch, wie heiß es gewesen war, und erinnerte mich an die Fliegen, die mich umschwirrten, und wie der Schweiß an mir herablief; namentlich aber war mir die finstere Miene von Rummins gegenwärtig, der verbissen drauflosschuftete und seine Leute zur Eile an trieb.
    Am Mittag hatten wir Rummins zum Trotz eine Verpflegungspause eingelegt.
    Claud und ich hatten uns unter die Hecke gesetzt, mit dem alten Jimmy und einem Soldaten namens Wilson, der auf Urlaub hier war. Gesprochen wurde nicht viel, dazu war es zu heiß. Wilson aß etwas Brot und Käse und trank kalten Tee aus der Feldflasche. Der alte Jimmy hatte einen ausgedienten Gasmaskenbehälter bei sich, aus dem sechs kleine Flaschen Bier herausragten.
    «Hier», sagte er, und bot jedem von uns eine an.

    «Ich kaufe Ihnen eine ab», erklärte Claud, da der Alte über wenig Geld verfügte.
    «Nimm's doch.»
    «Ich möchte es aber bezahlen.»
    «Sei nicht albern. Trink lieber.»
    Er war eine Seele von Mensch, mit rötlichen Backen, die er täglich rasierte. Früher hatte er als Zimmermann gearbeitet, mußte aber mit siebzig Jahren seine Stellung aufgeben, und das war schon einige Jahre her. Da er noch rüstig war, hatte ihm der Gemeinderat die Aufsicht über den neu erbauten Kinderspielplatz anvertraut, wo er die Schaukeln und Wippen instand zu halten und auch dafür zu sorgen hatte, daß den Kindern nichts geschah.
    Das war eine schöne Aufgabe für einen alten Mann, und man war mit dem Lauf der Dinge zufrieden - bis zu einem gewissen Samstagabend. An diesem Abend hatte sich der alte Jimmy einen angetrunken und war laut singend die
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