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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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hätte es für möglich gehalten?“
    „Es scheint, er wird übermütig.“
    „Oder unruhig. Was hielten Sie davon, seinem Refugium im ersten Stock einen Besuch abzustatten und zu sehen, was ihn die letzten Wochen dort so Faszinierendes hielt?“
    „Hielt?“
    „Ungeheuer und ihre Schätze bewachen einander meist gegenseitig, Miss Niobe.“
    Ich begann zu verstehen, weshalb er mich an diesem Abend hatte bei sich haben wollen. So köstlich es auch war, das Erdbeereis war nicht der einzige Grund gewesen. Nachdenklich spielte ich mit meinem Löffel.
    „Sie denken an einen bestimmten Schatz, den er nur ungern weit von sich entfernt wüsste, besäße er ihn?“, riet ich. Es war mir bekannt, dass die Loge Sir Malcolm seit längerem in Verdacht hatte, einen sehr flexiblen Umgang mit Leihgaben aus dem Tempel zu pflegen.
    „Ich wusste, es würde Ihr Interesse wecken“, freute sich Bailey. „Meinen Sie, Sie könnten uns den kleinen Gefallen erweisen? Gemeinsame Freunde werden es Ihnen danken.“
    „Warum nicht?“, sagte ich und streckte mich zufrieden wie ein Raubtier. „Wie genau sieht dieser Schatz denn aus?“
    „Sie werden ihn erkennen, wenn Sie ihn sehen.“
    „Wenn Sie es sagen.“ Ich leckte meinen Löffel ab. „Doch was wird Ali Baba aus seiner Höhle locken?“
    „Den Teil werden Sie lieben“, behauptete Bailey. „Lady Sedgwick hat zur zehnten Stunde eine Séance im kleinen Salon angesetzt, um ihre engsten Freunde zu unterhalten. Ich bin zuversichtlich, dass ihr Ehemann sich das nicht entgehen lassen wird.“
    „Darf ich fragen, was Sie da so sicher macht?“
    „Sie meinen, abgesehen von seiner Liebe zum Obskuren? Wahrscheinlich die Tatsache, dass seine Frau als erstes den Geist des im vorigen Jahr überraschend verschiedenen Dienstmädchens herbeizitieren wird, um es hinsichtlich der staubigen Geheimnisse gewisser vereinsamter Kammern – und Herzen – in diesem Haus zu befragen.“
    „Zur zehnten Stunde“, wiederholte ich.
    Er nickte.
    Die Uhr schlug.
    „Das ist jetzt“, stellte ich fest.
    Er schlug mir aufmunternd auf die Schulter. „Dann auf nach oben, Miss Niobe! Sie werden gebraucht.“
    Er ließ mich stehen, wie man einen schlechten Einfall vergisst, und erblühte in Begeisterung für Lady Willoughbys Straußenfederhut. Während es ihm gelang, die Aufmerksamkeit des gesamten Saals auf dieses geschmacklose Accessoire zu ziehen, entwischte ich durch die Küche in den Dienstbotenaufgang. Die Köche beachteten mich dank des Shila nicht weiter.
    Sir Malcolms Versteck zu finden war leicht. Mein Instinkt lotste mich in die richtigen Winkel des Hauses, wo ich nicht weit von den Gemächern seiner Ehefrau sein Zimmer als den einzig verschlossenen Raum auf der ganzen Etage identifizierte. Angestrengt spähte ich durch das Schlüsselloch. Es brannte kein Licht. Hatte ich ihn schon versäumt?
    In Lady Sedgwicks Schlafzimmer, das mit einer beeindruckenden Sammlung an Stolen und Nippes aufwartete, entledigte ich mich meiner Röcke. Sollte sich doch Lord Bailey später darum kümmern!
    In einem enganliegenden schwarzen Anzug über dem ich mein Mieder und meinen Werkzeuggürtel trug, betrat ich einen Balkon, kletterte von diesem auf einen Sims und von dort durch das geöffnete Fenster in den dunklen Raum, der mein Ziel war. Einer meiner Schuhe blieb bei der Kletterpartie auf der Strecke, und ich bangte um seine Entdeckung durch den zahlreich vertretenen Adel.
    Sir Malcolms Raum lag friedlich und still, doch mich beschlich ein ungutes Gefühl, während ich ihn mit meinen Sinnen durchforschte. Manchmal meinte ich, die Gefühle anderer Menschen seien am ehesten mit Gerüchen vergleichbar – und die Nähe eines Toten verströmt eine kalte Note nach Metall und Erde, die die Sinne betäubt. Diese Ahnung war nun ganz nahe und lenkte meine Aufmerksamkeit schließlich auf einen dunklen Schatten vor mir am Boden.
    Vorsichtig wanderte meine Hand zu dem maßgeschneiderten Gürtel, wo ich ein paar einfache Werkzeuge, einen Satz Dietriche, einen Kompass und einige Zündhölzer aufbewahrte. Ich entzündete eines davon und blickte mich um.
    Vor mir auf dem Buchara-Teppich lag Sir Malcolm. Er gab ein einsames Bild ab, wie er da vor seinem Schreibtisch lag, umgeben von Papieren und Schreibsachen in einer Pfütze seines Blutes. In früheren Jahren hatte er viele einflussreiche Freunde gehabt und war sehr stolz darauf gewesen, von Prinz Albert in die Kommission der Großen Ausstellung berufen worden zu sein. Es hieß, er
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