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Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Der Kristallpalast: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Oliver Plaschka , Matthias Mösch , Alexander Flory
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sei nicht nur ein fleißiger Kunstsammler, sondern auch ein begnadeter Erfinder gewesen; leider hatte er die Angewohnheit gehabt, seine Vorhaben mit hochverzinsten Krediten zu finanzieren, bis sie ihm um die Ohren flogen. Es schien, als wäre er diesmal nicht rechtzeitig in Deckung gegangen.
    Ich hielt das Zündholz an die Lampe auf dem Tisch. Warmes, honiggelbes Licht erfüllte das üppig ausstaffierte Zimmer. Ich sah Gemälde und Zimmerpflanzen, dunkle, antike Möbel mit Büchern und Statuetten auf den Regalen und einen Diwan an der hinteren Wand neben einer kleinen Bar. Ein Quilt und ein Kissen erweckten den Eindruck, als ob Sir Malcolm den Diwan auch als Schlafplatz benutzt hatte.
    Ich besah mir den Toten genauer.
    Sir Malcolm lag auf dem Rücken, den Kopf direkt vor dem Tisch. Er hatte eine kleine Eintrittswunde in der Brust; kleiner als von einem gewöhnlichen Revolver, und die Ränder wiesen eine ungewöhnliche Färbung auf, die an Schwarzpulver erinnerte. Ein aufgesetzter Schuss?
    Mühsam hob ich den schweren Leichnam ein Stück weit an und besah mir den Rücken. Anscheinend hatte die Kugel ihn nicht durchschlagen; man würde ihn schon obduzieren müssen, um an sie heranzukommen.
    Ich versuchte, mir die Szene vorzustellen: Sir Malcolm, eingeschlossen in seinem eigenen Zimmer – oder hatte der Mörder nach der Tat die Tür abgeschlossen, um sich in Ruhe umsehen zu können? Vielleicht hatte er das Zimmer auf dem gleichen Weg betreten wie ich. Ich überprüfte das Fenster, das keine Schäden aufwies. Wer hatte es geöffnet? Sir Malcolm?
    Das Bild würde passen: Etwas lenkt Sir Malcolms Aufmerksamkeit auf das Fenster. Er steht auf, öffnet es ... ich tat es ihm gleich und sah in die Zweige einer großen Platane – weit, aber nicht zu weit vom Sims entfernt. Sir Malcolm erblickt etwas, das er nicht sehen soll. Also kein aufgesetzter Schuss – wenn der Mörder nicht mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit agiert hat, muss er von draußen geschossen haben. Ein ziemlich guter Schuss: Sir Malcolm ist gestorben, ehe sein Mörder auch nur einen Fuß in den Raum gesetzt hat.
    Was hatte dann die eigenartigen Spuren an der Eintrittswunde verursacht? Wie war es möglich, dass niemand den Schuss gehört hatte? Die Wunde war allenfalls eine halbe Stunde alt. Ich war schon im Haus gewesen, als Sir Malcolm getötet wurde. Das ärgerte mich.
    Sir Malcolm wird also getroffen und taumelt zurück. Vielleicht greift er nach der Kante des Tischs, um sich zu stützen. Eventuell tastet er nach etwas, um sich zu verteidigen. Doch seine Beine geben nach. Seine Hand gleitet ab und reißt einige Dokumente, Stifte und den Briefbeschwerer vom Tisch. Er stürzt gegen den Tisch und sinkt zu Boden, den Blick noch immer zum Fenster gerichtet. Dann brechen seine Augen.
    Der Mörder betritt das Zimmer. Was sucht er?
    Ich begann mit einer sorgfältigen Untersuchung des Tatorts. Zuerst die Leiche: Sir Malcolms Brieftasche schien unangetastet, ich fand Geldscheine und eine goldene Uhr in seiner Weste. Bei den Papieren um ihn herum und auf dem Tisch handelte es sich um Rechnungen und Mahnschreiben, die ein klägliches Licht auf den Zustand des Anwesens warfen. Mehrere halb geöffnete Schubladen erweckten den Eindruck, als sei ich nicht die erste an diesem Abend, die den Tisch untersuchte. An der Wand hinter dem Tisch hing ein Sonnenuntergang von Turner, der wahrscheinlich eine stattliche Summe wert war; aber auch er hatte den Mörder nicht interessiert.
    Ich schickte mich gerade an, den Rest des Zimmers unter die Lupe zu nehmen, als ich Schritte hörte. Interessiert entriegelte ich die Tür, löschte die Lampe und ging neben dem schweren Kleiderschrank in Deckung.
    Die Tür öffnete sich. Der Griff eines Schirms lugte wie ein Periskop um die Ecke.
    „Miss Niobe?“, fragte Bailey.
    Ich atmete aus. „Kommen Sie herein und schließen Sie die Tür“, bat ich und zündete die Lampe wieder an. „Was hat Sie aufgehalten?“
    „Die Geister“, entgegnete Bailey pflichtschuldig, während er die Tür hinter sich schloss und den Leichnam in Augenschein nahm. „Sie wollten nicht kommen. Ebenso wenig wie unser Freund, Sir Malcolm.“
    „Sehr zum Verdruss Lady Sedgwicks, wie ich annehme.“ Ich machte mich wieder an die Untersuchung des Zimmers.
    „Sie war untröstlich, dass er verschiedenen von langer Hand vorbereiteten Demütigungen nicht würde beiwohnen können, nachdem der Draht zum Jenseits endlich stand, und wollte schon nach ihm schicken lassen,
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