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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen
Autoren: Pam Jenoff
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ihr. “Ich … ich verstehe nicht … was machst du hier?”
    “Ich bin dir gefolgt”, erwidert sie. “Ich sollte dich bei Sonnenaufgang abholen und in Sicherheit bringen.” Dann ist sie also diejenige, die mir den Weg zeigen soll. “Ich wusste, du würdest nicht weggehen, ohne vorher noch einmal deine Eltern zu sehen. Ich fürchtete, wenn du das mit deiner Mutter erfährst …” Sie lässt den Satz unvollendet und sieht zur Seite.
    Ungläubig sehe ich sie an. “Du wusstest es?”
    Sie nickt. “Ich erfuhr es erst vor Kurzem. Ich wollte dich eigentlich einweihen, aber Marek untersagte es mir.”
Zum Teufel mit ihm
, denke ich.
Zum Teufel mit ihnen allen.
“Es tut mir leid”, fügt sie hinzu, ich erwidere darauf nichts. “Ich bin dir zum Ghetto gefolgt, danach hierher. Und dann sah ich ihn …” Sie deutet auf den Leichnam des Kommandanten. “Er wollte dich töten, also musste ich ihn zuerst töten.”
    “Gott sei Dank! Wärst du nicht gekommen …” Mir schaudert bei dem Gedanken daran. Meine Wut auf die Bewegung wird schnell durch unendliche Dankbarkeit ersetzt. Wäre Marta nicht gewesen, wäre ich jetzt vielleicht tot. “Oh, Marta, ich danke dir so sehr.” Ich will sie umarmen, doch sie schiebt mich weg.
    “Dafür haben wir keine Zeit.” Sie läuft zum Kommandanten. Dabei wird mir bewusst, dass sie gesehen haben muss, wie ich mich über ihn beugte. Ich erwarte, Vorwürfe zu hören, weil ich ihn gehalten und um ihn geweint habe. Aber sie äußert sich nicht dazu, sondern kniet sich neben ihn, um ihm die Ringe und die Urkunde aus der Hand zu nehmen. “Hier.” Sie gibt mir die Sachen, die ich sofort in die Manteltasche stecke. “Die Polizei wird bald hier eintreffen. Wir müssen den Leichnam verschwinden lassen. Komm her, wir werfen ihn ins Wasser.”
    Ich betrachte den toten Kommandanten und merke, wie sich mein Magen umdreht. Nur mit Mühe kann ich mich davon abhalten, mich zu übergeben. Ich wende den Blick ab und stelle mich ans Brückengeländer. “Das geht nicht, der Fluss ist zugefroren”, rufe ich. “Lass ihn dort liegen, Marta. Wir müssen von hier verschwinden. Komm schon!” Ich schaue zu ihr, wie sie reglos neben dem Toten kniet. “Marta?”
    Sie schüttelt den Kopf und sinkt zu Boden. “Ich kann nicht.” Sofort bin ich bei ihr und bemerke auf ihrem Bauch einen großen roten Fleck.
    “Marta, du bist ja verletzt!”
    Mit einem traurigen Lächeln erwidert sie: “Ich war zwar schneller als er, aber nicht schnell genug.”
    Ich knie mich neben sie. “Tut es sehr weh?”
    “Ist nicht ganz so schlimm”, sagt sie, doch ich weiß, sie versucht nur tapfer zu sein. Ihr Gesicht ist blass, auf ihrer Stirn hat sich ein dünner Film aus Schweißperlen gebildet.
    “Ich muss dich zu Krysia bringen, damit sie einen Arzt holen kann …”
    “Unmöglich”, widerspricht sie mir. “Ich kann nicht gehen.”
    “Komm, ich helfe dir.” Ich lege einen Arm um ihre Taille und versuche, sie hochzuziehen, doch sie stößt mich weg und fällt wieder zu Boden.
    “Es hat keinen Sinn”, keucht sie. “Du kannst mich nicht tragen. Nein, du musst ohne mich los.”
    “Ich werde Hilfe holen”, erkläre ich und sehe mich suchend um.
    “Das wirst du nicht. Geh einfach. Ich werde dir sagen, auf welcher Route deine Flucht verlaufen soll.”
    Fassungslos sehe ich sie an. “Du kannst doch nicht hierbleiben. Die Polizei wird bald eintreffen und dich hier vorfinden.”
    “Ganz genau”, gibt sie zurück. In ihren Augen bemerke ich ein Leuchten. “Wenn sie mich hier finden, werden sie glauben, dass es nur eine Sache zwischen ihm und mir war. Niemand wird auf die Idee kommen, du könntest etwas damit zu tun haben. Auf die Weise kannst du unbehelligt fliehen.”
    “Ich lasse dich nicht hier zurück”, beharre ich.
    “Das musst du aber.”
    “Nein …” Noch während ich widerspreche, weiß ich, dass meine Bemühungen vergebens sind. Aus ihrer Stimme höre ich den gleichen Mut und den gleichen Starrsinn heraus wie bei Alek und Jakub. Trotzdem bleibe ich beharrlich. “Ich kann dich nicht einfach zurücklassen. Nicht nach allem, was du für mich getan hast.”
    “Hör mir zu.” Marta nimmt all ihre Kraft zusammen, streckt eine Hand nach mir aus und packt mich am Kragen. “Im Widerstand geht es ums Überleben … ums Überleben unseres Volks. So war es immer. Wer weitergehen kann, der geht weiter. Alek wusste das, und Jakub weiß es auch. Da ist kein Platz für sentimentalen Unsinn. Hast du
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