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Der Kojote wartet

Der Kojote wartet

Titel: Der Kojote wartet
Autoren: Tony Hillerman
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ihre Urteilsverkündung aufgeschoben, bis ein von Ärzten und Psychiatern erstelltes Gutachten über Pinto vorlag. Unter diesen Umständen konnte höchstens lebenslängliche Haft verhängt werden. Das Urteil würde vermutlich auf etwas weniger lauten - aber der Unterschied zwischen lebenslänglich und zehn Jahren war bedeutungslos. In der Zeitung stand, daß Pinto »ungefähr achtzig« sei.
    Seine Befriedigung über den leeren Schreibtisch verflüchtigte sich allmählich. Leaphorn dachte über Officer Jim Chee nach. Ein Versager, aber ein interessanter junger Mann. Intelligent, wie er alle Zusammenhänge miteinander verknüpft hatte. Aber aus ihm würde niemals ein guter Verwaltungsmann werden. Und auch kein Teamspieler, wie es die Polizeiarbeit oft erforderte.
    Vielleicht eignete sich Chee wie Leaphorn besser für Ermittlungsarbeiten? Der Lieutenant lächelte bei diesem Gedanken. Wo man ruhig ein Versager sein konnte, wenn man nur ab und zu einen kreativen Gedanken hatte. Er würde mit Captain Largo darüber sprechen. Largo kannte Chee besser als er.
    Leaphorn dachte über die seltsamen Umstände des Mordfalls Nez nach.
    Seine Mutter hätte gesagt, Kojote habe auf Nez gewartet. Pech gehabt. Wie Redd übrigens auch. Ihm war es anscheinend nur um eine anständige Entlohnung für seine Arbeit als Linguist gegangen. Und sein Spiel war damit zu Ende gegangen, daß er den falschen Mann aus dem falschen Grund ermordet hatte. Jedenfalls hatte Kojote auch Redd erwischt. Autofahrer hatten seinen alten Bronco in einem Straßengraben entdeckt und Redd in ein Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen konnten.
    Leaphorn drehte sich nach der Wandkarte um und zog die wenigen Nadeln heraus, die mit diesem Fall zusammenhingen. Sie hatten nicht sonderlich viel gebracht.
    Sogar eine Nadel für Professor Bourebonette. Die Frage ihres Motivs.
    Er lächelte in sich hinein, während er darüber nachdachte. Emma hatte ihm häufig vorgeworfen, er sei zu zynisch. Auch diesmal hatte sie wie so oft recht behalten.
    Lieutenant Leaphorn hatte Louisa Bourebonette überprüfen lassen. Er hatte einen alten Freund in der Fakultät für Anthropologie an der Arizona State University angerufen und ihn gefragt, ob er jemanden an der Northern Arizona University kenne, der wiederum Professor Bourebonette kenne? Ob sich feststellen lasse, wie weit sie mit ihrem neuen Buch sei? Die Auskunft war eindeutig gewesen: Das Manuskript befand sich beim Verlag; das Buch würde im kommenden Frühjahr erscheinen. Soviel dazu. Er würde sich ein Exemplar kaufen, denn es interessierte ihn wirklich.
    Auf der nächtlichen Rückfahrt vom Handelsposten Short Mountain hatten sie über Mythologie diskutiert. Sie hatte ein bißchen geredet und ein bißchen geschlafen, und als sie aufgewacht war, war sie sehr gesprächig gewesen. Sie hatte ihn nach seiner Kenntnis der Navajo-Mythen gefragt und sich dafür interessiert, woher sie stammte. Und sie hatten über das Wesen der Phantasie diskutiert. Wie die menschliche Intelligenz funktioniert. Über den Unterschied zwischen Intelligenz und Verstand. Es war eine angenehme Fahrt gewesen. Sie hatte auch von ihrem Aufenthalt in Kambodscha und Thailand gesprochen, wo sie Animismus-Mythen gesammelt und mit Schamanen zusammengearbeitet hatte, die den genauen Ort bestimmen, an dem die Gebeine eines wichtigen Vorfahren aufbewahrt werden müssen, um der Familie Glück zu bringen.
    Von seinem Fenster aus konnte Leaphorn jetzt einen Konvoi von vier großen Viehtransportern sehen, die vor den Stammesställen jenseits der Navajo Route 3 hielten. Das mußten die Jungstiere für das Rodeo der alljährlichen Tribal Fair sein. Er verzog das Gesicht. Der Jahrmarkt war ein Problem für sämtliche Cops des Reservats. Außerdem bedeutete er auch, daß der Winter kam.
    Dieses Jahr fürchtete er den Winter.
    Er würde zum Mittagessen gehen. Allein. Er griff nach seiner Mütze, setzte sie auf. Nahm sie wieder ab. Griff nach dem Telefonhörer. Wählte die Auskunft.
    Sie meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Hallo.«
    »Hier ist Joe Leaphorn«, sagte er. »Wie geht's Ihnen?«
    »Ausgezeichnet«, antwortete sie. »Sind Sie hier in Flagstaff?«
    »Window Rock«, sagte er. »In meinem Büro.«
    »Oh? Ich habe übrigens gehört, daß Sie sich nach mir erkundigt haben. Wegen meines Buchs.«
    »Ich war skeptisch, was Ihre Motive anging«, gab Leaphorn zu. »Einer meiner Fehler. Zynismus. Emma hat mir das oft vorgeworfen.«
    »Nun, damit
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