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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer
Autoren: Else Buschheuer
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und die Kugel, sowie zahllose Untergruppen und Mischformen, alle im Selbstversuch erprobt.
    Joys straffer, vorlauter Fettsteiß war die klassische Kugel. Zwei Kugeln. Zwei Kanonenkugeln. Der Gott der Form, der auf einen Altar gehört, mit Blumengirlanden bekränzt, mit Weihrauch besprengt, angebetet. Die feste ledrige Form symbolisiert die Sehnsucht nach dem vollkommenen Menschen, der totalen Vereinigung. Doch so vollendet Joys Arsch für Rhett als verhinderten Künstler war, so deprimierend war er für ihn als Mann, deprimierend in seiner Perfektion, abweisend in seiner Elastizität. Rhett hatte gelesen, auf Jennifer Lopez’ Hintern könne man, wenn sie steht, einen Cocktail abstellen. In Joys Fall traf das wirklich zu. Ein Umstand, der ihn permanent an seine Haut erinnerte, die bereits in Zipfeln von den Ellbogen hing. Joy, perfekt wie eine schwarze Barbie, war nicht die richtige Gefährtin für ihn. Sie war eine Pein der Perfektion.
    Mit Sonnies Arsch begegnete Rhett erstmals die Formlosigkeit. Erst war sie eine Festung, ihr Blick war bewaffnet, wie Schießscharten, aus denen Handfeuerwaffen des Spottes ragten, und er hatte eine friedliche Revolution veranstalten müssen, ähnlich der, die die Mauer in ihrer kommunistischen Heimat niedergerissen hatte, um Sonnie zum Herunterlassen der Brücke zu bewegen. Aber dann stand sie vor ihm, ungeschützt, nackt, mit dem Urvertrauen eines paarungswilligen Weibchens.
    Der Tag, als Rhett Sonnie zum ersten Mal nackt sah, war sein Himmelfahrtstag. Ihr Körper war nicht schlaffund zerflossen, sondern üppig und weich, zugleich plump und weiblich, wie ein Gemälde, auf dem Gauguin Rubens’ Hand geführt hatte. Sonnie stand zwischen Rhett und dem Tod, eine weiße, weiche Barrikade. Rhett musste den Tod nicht mehr sehen, er durfte Sonnie sehen. Rhett war berauscht von der blassen Mattigkeit ihres Leibes, von ihren traumwandlerischen Bewegungen, vom Wogen ihrer Schenkel, von den großen fleischigen Backen. Er war gerührt, wenn Sonnie versuchte, ihr Hinterteil vor ihm zu verbergen. Die Bewegung, mit der sie versuchte, ihren großen Hintern mit ihren großen Händen zu bedecken, hatte etwas Mädchenhaftes, das ihren sonst so forschen Auftritt brach.
    »Hast du die ganze Flasche allein getrunken?«, fragt Rhett und legt seine stoppelige Wange auf ihre Backe.
    Sonnie rülpst und murmelt »Jake«.
    I’m very drunk and I intend on getting still drunker before the evening’s over.
    »Hast du mich eben Jake genannt?«
    Rhett wundert sich, dass Sonnies impotenter Exmann in ihren Räuschen herumspukt. Er sieht die dünnen weißen Striche an den Innenseiten von Sonnies Handgelenken. Er streichelt Sonnies Arme, aber er lässt die Narben aus. Er hat Sonnie nie nach den Narben gefragt.
    No bad news .
    Sonnie dreht sich schmatzend auf die andere Seite. »Trink nie allein, Scarlett«, würde Jake das Filmzitat pariert haben. »Es ruiniert die Reputation.« Er würdesich an sie geschmiegt haben, ganz ohne Nobeldorn, er würde sie in seine großen weichen Hände genommen haben.
    Stattdessen krabbeln Rhetts Spinnenfinger über Sonnies Körper.
    Am nächsten Morgen sind beide vom Vorsatz beseelt, am anderen etwas gutzumachen. Rhett erhebt sich ächzend von der Matratze. Er bereitet das Frühstück zu: viel zu dünner Kaffee, pappiges Weißbrot, blau gekochte Eier. Und Sonnie – isst das Frühstück. Eines der Missverständnisse ihres jungen Zusammenlebens ist, dass Rhett denkt, Sonnie frühstückt gern dünnen Kaffee, pappiges Weißbrot und blau gekochte Eier, und das auch noch im Bett.
    So, do you want more eggs or should we just fuck on the linoleum one last time?
    Sonnie, die es hasst, im Liegen, mit ungeputzten Zähnen und ohne Zeitung zu frühstücken, isst, damit Rhett sich freut. Es ist wie im Gleichnis vom alten Ehepaar: Die Frau liegt im Sterben. Sie wünscht sich, einmal die untere Hälfte des Brötchens zu essen. Der Mann aber hatte immer heldenhaft verzichtet auf die obere Hälfte, ein halbes Leben lang. Während Rhett die Geschichte deprimiert, schon allein weil sie vom Tod handelt, erscheint sie Sonnie romantisch. Für die große Liebe ein Opfer zu bringen, etwas in die Waagschale zu werfen, irgendwas, und sei es ein Brötchen, das ist ihr Verständnis von Romantik.
    Ohne den Scheiß-Koffer wäre das alles nicht passiert, denkt Rhett. Was, wenn der Chinamann im Fahrstuhlgestorben wäre? Was, wenn der Fahrstuhl in den Tiefen des Schachtes zerschellt wäre? Ein verspäteter, längst
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