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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Revier zu verteidigen. Die Jungen nahmen ihr den Knüppel ab und brachten sie mit ein paar Ohrfeigen mitten ins Gesicht wieder zu sich. Sie heulte vor Wut, kreischte, schluchzte, steckte sich eine Zigarette an und war auf einmal still und ruhig, rauchte, an die gemauerte Umrandung der Dachterrasse gelehnt, und sah den Autos, Fahrrädern und Leuten zu, die unten auf der San Lázaro hin und her wuselten. Kein Gedanke mehr an Adalberto.
    Eines Morgens gegen elf stand sie da und sah hinunter auf die Straße. Nelson hatte ihr eine kräftige Ohrfeige versetzt, und ihre Oberlippe war angeschwollen und auf der Innenseite aufgeplatzt. Sie leckte mit der Zunge darüber und schmeckte das Eisen des Blutes. Sie war außer sich, warf ihre Kippe hinunter auf die Straße, spuckte blutigen Rotz, wobei sie sich heimlich wünschte, er möge jemanden auf den Kopf treffen, und drehte sich dann um, um wieder in ihr Zimmer zu gehen. Die Sonne stach, und ihr tat der Kopf weh. Versteckt hinter dem Hühnerstall, sahen die Jungs der nuttigen Nachbarin zu. Verträumt, mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen wichsten sie sich rhythmisch den Schwanz. Die kleine Mulattin war halb nackt und gerade dabei, ein Handtuch und ein paar winzige Slips aus roter Spitze aufzuhängen. Es gefiel ihr, dass die Jungen sie angafften und sich dabei einen runterholten. Das Handtuch war tropfnass, und sie drückte es aus, um sich in der Sonne zu erfrischen. Am liebsten hätte sie die beiden ganz gesehen, wie sie vor ihr standen und wie die Besessenen abspritzten, aber sie waren noch zu jung, um sich so was zu trauen. Wenn sie erst etwas größer waren, würden sie gute »Schießer« abgeben und ihre Schwänze in den Hauseingängen auf dem Malecón für alle Frauen, die sie sehen wollten, zur Schau stellen. Aber jetzt versteckten sie sich noch dabei.
    Als die Alte sah, was da vor sich ging, regte sie sich noch mehr auf. Sie führte sich auf wie ein Rumpelstilzchen: »Wichst nur weiter! Wichst nur weiter, ihr schamlosen Kerle! Ihr werdet noch tot umfallen! Raus mit euch! Alle beide! Raus da!«
    Sie griff nach einem Knüppel, um die beiden zu schlagen, doch plötzlich drehte sie sich der aufreizenden Nachbarin zu: »Und du Drecksschlampe hast an allem deinen Spaß, was? Weil du eine Nutte bist! Dass du sie mir nie wieder anmachst! Die holen sich den Tod! Ohne Essen und dann den ganzen Tag wichsen! Du bringst sie noch um! Du bringst sie noch um!«
    »Hör zu, du beschränkte Kuh, lass mich bloß in Ruhe! Ich bin hier bei mir und tue, was mir gefällt.«
    »Eine Nutte bist du, nichts weiter!«
    »Ja, aber mit meiner eigenen Muschi! Und ich lebe zwanzig Mal besser als du, denn du hast nicht alle Tassen im Schrank und bist eine dreckige Sau!«
    Die Hunde fingen an zu bellen, und auch die Hühner gackerten aufgescheucht. Bei all dem Wahnsinnsrabatz versuchte sie über das Mäuerchen zu steigen, das die beiden Terrassen voneinander trennte, den Knüppel drohend in der Hand, um der jungen Nachbarin damit eins überzuziehen, aber schon war Nelson bei ihr und entriss ihr den Knüppel. Außer sich vor Wut, versuchte sie dennoch auf die Nachbarterrasse überzusetzen und schrie dabei: »Du Nutte, du! Und du Wichser! Nimm sofort deine Hände von mir! Lass mich los, du Scheißwichser!«
    »Hör auf, mich zu beleidigen! Hör sofort auf!« Nelson ist außer sich, hat völlig die Fassung verloren. Er ist ein junger Mann von vierzehn, und eine solche Demütigung tut weh. Obendrein zieht ihn jetzt auch noch die Nachbarin auf und provoziert ihn erst recht: »Los, du schamloser Wichser, du wirst noch verrückt bei all der Wichserei! Such dir lieber eine Frau!«
    Mit diesen Worten dreht sie sich um und geht zurück in ihr Zimmer, völlig gelassen, den Hintern hin und her schwenkend. In dieser ganzen Auseinandersetzung verletzt ihn das Gespött der kleinen Hure am meisten. Er versetzt seiner Mutter einen kräftigen Stoß und schleudert sie mit dem Rücken gegen den Hühnerstall. An einer Kante des Käfigs steht ein dicker Stahlstift hervor und bohrt sich durch ihren Nacken bis zum Gehirn. Die Frau schreit nicht mal. Entsetzt reißt sie die Augen auf und greift mit beiden Händen nach der Stelle, an der der Stahlstift eingedrungen ist. Und stirbt schreckensstarr. Innerhalb von Sekunden bildete sich eine Lache aus dickem Blut und anderen zähen Flüssigkeiten. Sie war offenen Auges gestorben, das nackte Grauen im Blick. Nelson sah die Bescherung, und im Handumdrehen verschwand der Hass, den
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