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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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und die Kinnhaken glitten an ihm ab. Die anderen umringten sie und begannen zu wetteifern: »Ich setze fünf auf den Schwarzen! Der kleine Mulatte ist am Arsch!«
    »Ich drei auf den Mulatten! Drei auf den Mulatten!«
    Sofort kamen vier Wächter gelaufen, teilten Knüppelschläge nach allen Seiten aus und trennten die beiden. Sie befahlen ihnen, nur die Hosen anzuziehen, und brachten sie in den Strafkerker. Totale Finsternis, kaum Platz, sich zu bewegen, anhaltende Feuchtigkeit und Mäuse und Kakerlaken. Er verlor alles Zeitgefühl, wusste nicht, ob Tag oder Nacht war. Als er es vor Hunger und Durst kaum noch aushielt, brachte man ihm einen kleinen Krug Wasser und ein Aluminiumtablett mit etwas Reis und ausgelassenem Speck in Brühe. Diese magere Diät bekam er noch vier, fünf Mal. Schließlich holten sie ihn heraus und gliederten ihn erneut in die Gruppe ein. Langsam fühlte er sich wieder als Mensch, denn in dem Kerker hatte er schon nach Kakerlaken gerochen und schon gedacht und gefühlt wie eine Kakerlake. Der für ihn zuständige Betreuungsbeamte holte ihn in sein Büro, setzte sich hinter einen Schreibtisch und ließ ihn vor sich stehen.
    »Was ist passiert?«
    »Der Schwarze wollte mich in den Arsch ficken.«
    »Drück dich gefälligst korrekt aus! Hier ist niemand schwarz oder weiß oder Mulatte. Alle hier sind Internierte.«
    »Na gut … also dann ersetzen Sie Schwarzer durch Internierter.«
    »Hältst du dich für witzig?«
    »…«
    »Ich habe dir eine Frage gestellt. Antworte!«
    »Nein. Ich halte mich nicht für witzig.«
    »Ich möchte dich auf etwas hinweisen: Ich bin Betreuungsbeamter. Ich bin derjenige, der entscheidet, wie lange du hier bleiben wirst. Du bist dreizehn. Wenn du weiter so aufsässig bist und Unruhe stiftest, bleibst du hier drinnen, bis du achtzehn bist, und wirst automatisch an deinem achtzehnten Geburtstag ins Gefängnis überführt … Ist das klar? Automatisch wird man dich den Kaimanen vorwerfen … damit sie dich fressen. Ich sage dir das nur ein einziges Mal. Ich werde es nicht mehr wiederholen: Bemüh dich, uns entgegenzukommen, und benimm dich, vielleicht können wir dann etwas für dich tun.«
    Und stand auf. Und mit kriegslüsterner Miene: »Weggetreten! Schließ dich wieder deiner Gruppe an!«
    Rey machte eine Kehrtwendung und verließ den Raum. Er ging in den Innenhof der Besserungsanstalt und setzte sich auf eine Bank. Ohne lange über die ganze Angelegenheit nachzudenken, überlegte er, wie die Spielregel lautete: »Es heißt hier also knallhart sein, damit einem niemand in den Arsch fickt, aber ohne dass es der Typ mitbekommt. Okay. Also dann.«
    Er erhob sich von der Bank und begab sich in die Unterkünfte. Von da an amüsierte er sich mit niemandem mehr und hatte keine Freunde. Er lernte Tätowierungen zu machen, indem er einem weißen Dummkopf zusah, der zeichnen konnte. Glücklicherweise trat ihm der Schwarze nie wieder zu nahe. Er war nicht so hartgesotten, wie es den Anschein hatte. Für alle Fälle schliff er sich eine Zahnbürste spitz und scharf und versteckte sie gut in seiner Matratze. Gelegentlich holte er sie hervor und prüfte ihre Spitze. Damit konnte er jedem das Herz durchbohren, der kam, um ihn zu missbrauchen. Er hatte nicht übel Lust, sie dem Schwarzen in den Hals zu stechen und ihm die Adern aufzuschlitzen, bis er völlig ausgeblutet war. Er hasste ihn. Hielt der ihn etwa für einen Schwulen, den er einfach in den Hintern ficken und vor allen anderen demütigen konnte? Von wegen. Er war ein knallharter Kerl. Nie würde er den Kerker vergessen, wo er wegen dieses schwarzen Kinderschänders gelandet war, aber er würde alles ohne weitere Probleme überstehen. Nachts dachte er an die kleine Mulattennutte und holte sich dabei einen runter, und wenn er seinen Saft verspritzte, sagte er sich: »Ich werde dich in die Muschi ficken, du Hure, eines Tages werde ich dich ficken. Irgendwann komme ich hier raus.«
    Jeden Morgen nahm er am Unterricht teil. Für nichts und wieder nichts. Er hörte den Lehrern überhaupt nicht zu. Nachmittags arbeitete er auf der riesigen Zitrusplantage, deren Orangen- und Zitronenbäume die Anstalt umgaben. Danach duschte er. Er war es nicht gewohnt, jeden Tag ein Bad zu nehmen, und Wasser und Seife behagten ihm nicht, aber man zwang ihn dazu. Er verschlang das bisschen Fraß, das man ihm zuteilte. Fast immer waren es ein paar Löffel Reis mit Bohnen und einem Stückchen Kartoffel oder Süßkartoffel. Anschließend sah er ein
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