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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Lehrer machten kaum Unterricht, denn ihre Schüler waren der reinste Abschaum. Mit dreizehn schleppten die Mädchen voll aufgetakelt auf dem Malecón Touristen ab. Die Jungs verkloppten Marihuana und dies und das, um sich den ein oder andern Dollar am Tag zu verdienen. Ihre Väter und Mütter glänzten durch Abwesenheit. Niemanden interessierte Mathematik oder andere komplizierte und unnütze Dinge. Und die Lehrer hatten genug von diesen kleinen Bestien. So gingen Nelson und Rey drei, vier Tage in der Woche zur Schule, und die übrige Zeit spielten sie auf der Dachterrasse mit den Tauben und Hunden. Sie hatten sich fünf streunende Hunde von der Straße geholt.
    Oft bestand ihre tägliche Nahrung nur aus einem Stück Brot und einem Krug Zuckerwasser, aber sie wuchsen heran. Sie fanden heraus, dass sich fremde Tauben auf ihrer Dachterrasse niederließen und dass es nicht schwer war, sie lebend zu fangen. Sie hatten die Idee, sich einen Lockvogel heranzuziehen, einen herrlichen Täuberich, männlich und verführerisch, der hoch über alle Häuser hinwegflog. Immer wieder kam irgendein unvorsichtiges Täubchen, angezogen von dem schönen Galan, und schon war es um sie geschehen. Er führte sie zu seinem Taubenschlag, um sie dort genüsslich zu vögeln. Schnapp, schnell schlossen Rey und Nelson die Käfigtür hinter ihnen. Auf dem Markt von Cuatro Caminos wurden vierzig, fünfzig Pesos für ein Täubchen bezahlt. Bis zu hundert Pesos, wenn es weiß war. Durch die Krise und den Hunger und den Auswanderungswahn machten alle in Santería, und Tauben, Zicklein und Hühner erzielten gute Preise. Ebenso schwarze Hennen, die gut für Säuberungen waren, um das Böse von oben abzuwenden. Wenn die Jungen eine Taube losgeschlagen hatten, wurde alles gleich besser: Sie aßen ein paar Pizzas und tranken ein Glas frischen Saft. Und sie brachten der Mutter und der Großmutter Pizzas mit.
    Trotz alledem schrie sie sie weiter an wie eine Verrückte. Dabei hatten die beiden schon Haare zwischen den Beinen, am Arsch und unter den Achseln, ihr Schwanz war gewachsen und dick geworden, sie verströmten den strengen Schweißgeruch von Männern, und ihre Stimmen wurden tief und rau. Versteckt zwischen den Hühnerkäfigen, beobachteten sie die junge Nachbarin von der Dachterrasse nebenan und holten sich dabei einen runter. In Wirklichkeit war es dieselbe Dachterrasse auf demselben Gebäude, aber vor Jahren hatte sie jemand mit einem Mäuerchen von fast einem Meter Höhe unterteilt. Das war die Grenze zu den Nachbarn: einer dicken, vollbusigen Alten mit einer etwa zwanzigjährigen Tochter und vielen anderen Kindern, die dort wohnten und nie daran dachten, dass sie ihre Mutter war. Das Mädchen war ein Honigtöpfchen: eine zuckersüße, wunderschöne, schlanke Mulattin, die auf den Strich ging. Elegant und aufreizend zurechtgemacht, ging sie nur nachts aus und kehrte erst am frühen Morgen zurück. Tagsüber lief sie auf ihrem Teil der Dachterrasse in winzigen, engen Shorts und einem knappen Blüschen herum, ohne BH und mit schön sich abzeichnenden Brüsten, und ahhh! Eine Versuchung. Reynaldo war jetzt dreizehn, Nelson vierzehn. Sie gingen schon lange nicht mehr zur Schule. Sie waren es leid, immer in der siebten Klasse zu sitzen. Drei Mal hatten sie schon wiederholt, bis sie schließlich das Handtuch warfen .
    Sie hielten sich für Männer. Sie machten weiter mit den Tauben. Sie wurden täglich besser im Taubenklauen, und jeden Tag verkauften sie eine oder zwei. Es lief nicht schlecht. Sie waren Männer und sorgten für den Unterhalt der Ihren. Doch die Mutter blieb auch weiterhin bescheuert. Sie hassten sie wegen ihres Gezänks und ihrer Wutanfälle vor allen Leuten. Sie fühlten sich gedemütigt und entgegneten ihr: »Jetzt sei nicht so hirnverbrannt! Halt verdammt noch mal endlich den Mund!«
    Jeden Tag wurde es auf der Dachterrasse schweinischer, und der Gestank nach Tierscheiße nahm zu. Die Großmutter rührte sich kaum, saß nur noch auf einer halb vermoderten Kiste oder in irgendeiner Ecke, stundenlang, in praller Sonne. Die beiden mussten sie ins Haus tragen und zu Bett bringen. Sie war wie eine lebende Tote. Außerdem mussten sie ihre Mutter überwachen, die von Tag zu Tag mehr verblödete. Sie war nicht einmal mehr imstande, die Treppen hinunterzugehen. Sie schubsten sie und schrien sie an, sie solle die Klappe halten, aber sie keifte nur noch mehr, griff nach einem Knüppel und verpasste ihnen eine saubere Tracht Prügel, um ihr
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