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Der König von Berlin (German Edition)

Der König von Berlin (German Edition)

Titel: Der König von Berlin (German Edition)
Autoren: Horst Evers
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als Kammerjäger ja angenommen, weil ihm vor Jahren mal irgendjemand erzählt hatte, was für gute Karten Kammerjäger bei Frauen hätten. Die Frauen seien aufgewühlt wegen der Gefahr durch Ratten, Insekten oder sonstiges Ungeziefer, und der Kammerjäger erschiene ihnen wie eine Art Held oder Retter. Die Mischung aus emotionaler Ausnahmesituation, Dankbarkeit und Bewunderung gäbe den Frauen nicht selten etwas Flatterhaftes, sodass für einen erfahrenen Kammerjäger, Interesse vorausgesetzt, alles Weitere also mehr oder weniger Routine sei … Lauter so Zeug war in seinem Kopf gewesen, aber die bisherigen sechs Monate in diesem Beruf hatten Georg dann doch gelehrt, dass die erotische Anziehungskraft von Kammerjägern wohl nicht mehr als ein moderner oder uralter Mythos war.
    Der Beruf des Kammerjägers schien ohnehin voller Mythen und Geheimnisse zu stecken. Max, einer der beiden Söhne des Alten, hatte ihn in diese Geheimnisse eingeführt. Georg hatte nicht schlecht gestaunt, als ihm der Juniorchef höchstpersönlich mitteilte, sie würden jetzt als Erstes losziehen und vernünftige Arbeitskleidung besorgen. Denn das sei mit das Wichtigste. Noch mehr wunderte er sich, als sie dann nicht zu irgendeinem Kammerjägerausstattungs-Spezialgeschäft fuhren oder wenigstens zu John Glet, der ersten Adresse für Arbeitskleidung in Berlin, sondern zu Peek & Cloppenburg am Tauentzien, um ihm dort drei elegante, aber unauffällige Anzüge in Dunkelgrau, Hellgrau und Blaugrau zu kaufen. Dazu eine Reihe Businesshemden, die man im Sommer ruhig einmal ohne Jackett tragen konnte. An diesem Tag lernte Georg, dass die wichtigste Eigenschaft eines Kammerjägers Unauffälligkeit ist. Niemand möchte, dass alle Nachbarn es mitbekommen, wenn ein Kammerjägerfahrzeug vor der Tür steht. Daher waren sämtliche Dienstfahrzeuge auch unauffällige Mittelklassewagen ohne jeden Hinweis auf die Firma.
    «Gut zehn Millionen Ratten gibt es im Großraum Berlin», hatte der Juniorchef ihm erklärt. «Dazu noch jede Menge andere Nager, die zum Teil mit den Wanderratten, der einzigen echten Rattenart, die in der Stadt vorkommt, verwechselt werden. Wegen Insekten, Ungeziefer oder Schädlingen werden wir natürlich auch gerufen. Ein gigantischer Markt, auf dem sich mehr als sechzig Firmen tummeln, die tagtäglich rund um die Uhr im Einsatz sind. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Sie trotzdem niemals ein Kammerjägerfahrzeug in der Stadt sehen? Alles andere – Feuerwehr, Krankenwagen, Klempner, Elektriker, Baufirmen – sieht man. Aber Kammerjäger nie. Und warum? Weil sie unsichtbar bleiben wollen. Niemand möchte sie vor dem Haus stehen haben. Deshalb darf nichts, weder das Fahrzeug noch die Kleidung, noch die Ausrüstung, den Kammerjäger verraten. Manchmal, wenn in amerikanischen Filmen Kammerjäger, oft Ex-Militärs mit sadistischer Lust am Töten, Geländefahrzeuge mit großen Leuchtkakerlaken obendrauf haben oder Kanister voller Gift, das sie mit Pump-Guns versprühen, könnte ich mich bekleckern vor Lachen. Nichts könnte weiter weg von der Wirklichkeit sein. Mein Vater», hatte der Juniorchef seine Einführung damals beendet, «mein Vater sagte immer: Ein guter Kammerjäger kommt immer wie ein Pornoheft, also im neutralen Schutzumschlag.» Dann hatte er gelacht, bevor er Georg noch zweifelhafte Komplimente machte. Georg sei perfekt geeignet für den Kammerjägerberuf, weil er schon von Natur aus so unauffällig sei, mittelgroß, mittelschwer, mittelalt, mittelsportlich, das Haar mittelblond und mittelschütter.
    Toni, der mit Georgs fachlicher Ausbildung beauftragt wurde, erzählte ihm später, dass der Alte früher immer behauptet hatte, sie seien die eigentlichen «Men in Black». Die große, unsichtbare Geheimorganisation – das seien die Kammerjäger, genau genommen die «Men in Grey», und der ganze Film eine Parabel über sie. Es gehe da, so der Alte, überhaupt nicht um eine geheime Behörde, die außerirdische Aktivitäten auf der Erde kontrolliere, sondern einfach nur um ihren Kammerjägeralltag. Aber den Film von echten Kammerjägern handeln zu lassen, sei politisch-gesellschaftlich schlicht zu brisant gewesen. Eine Einschätzung, die Georg, nachdem er sich «Men in Black» daraufhin noch einmal angesehen hatte, gar nicht so abwegig fand.
    Nun jedoch verspürte er ganz andere Gefühle, eben Frau Kreutzer, Lucys Mutter, betreffend, die ihn auf beinah animalische Weise anzog. Wie sie wieder die Hände hochriss und auf die
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