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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot
Autoren: T.H. White
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lebendig entgegen. Hier ist Merlin ein Wahnsinniger, zugleich
ein Wissender, fast schon sein Menschsein aufgebend, um einzugehen in die große
Naturmacht der Wälder Caledoniens (südliches Schottland), begabt mit der Macht
über die Kreatur, zugleich dem grausamen Wechsel der Jahreszeiten ausgeliefert;
einem festen Kreis von Menschen verwandtschaftlich verbunden, aber immer sich
entziehend, traurig zumeist, doch auch zu Scherzen bereit…es heißt, er habe »sub
multis regibus« (unter vielen Königen) gelebt, und diese Feststellung verknüpft
ihn zunächst locker mit seiner Rolle als politischer Berater der ersten
britischen Könige in der »Historia«. »Rex erat et vates«, also nicht nur Seher,
sondern auch selbständiger König der Demeter (eines Volksstammes in Wales), der
in einen Bürgerkrieg gegen Gewennoleu von Schottland verwickelt ist.
    In diesem Text wird auch zum ersten Mal
das Aggressionsthema dominierend.
    Nach einer fürchterlichen Schlacht, beim
Anblick seiner gefallenen Brüder, verfällt Merlin in eine Art Wahnsinn und
flüchtet sich in den Wald.
    Alle Versuche, ihn in die Sphäre des
Menschen zurückzulocken, mißlingen.
    Das Trauma, das er auf dem Schlachtfeld
davongetragen hat, erweist sich als stärker als alles gute Zureden, stärker
auch als die Musik, um deren besänftigende Wirkung auf die Psyche hier schon
gewußt wird. Nur die Natur selbst ist es, mit der das Trauma geheilt werden
kann.
    Eine heilkräftige Quelle entspringt der
Erde. Merlin trinkt aus ihr. Aber auch nach dieser »Heilung«, nach seiner
vorübergehenden Rückkehr in die Gemeinschaft der Menschen, bleibt er
distanziert und entfremdet. Als Ehemann taugt er nicht mehr. Gwendoloena, seine
Frau, deren Schönheit zu Anfang des Textes so anschaulich geschildert worden
ist, läßt er an einen anderen verheiraten.
    Am Tag von Gwendoloenas Hochzeit erscheint
Merlin auf einem Hirsch reitend an der Spitze eines Rudels von Gazellen,
Bergziegen und Hirschen, das er seiner Ex-Frau zum Hochzeitsgeschenk anbietet.
    Als der neue Bräutigam den Reiter auf dem
Hirsch verspottet, reißt dieser dem Tier das Geweih ab und schleudert es gegen
den höhnenden Mann. Er zerschmettert ihm damit den Schädel, versetzt aber
dessen Seele ins Jenseits; er reitet dann in das Walddickicht zurück. Eine
merkwürdige Geschichte mit Bildern und Chiffren aus einer anderen, früheren
Zeit mit einem anderen Bewußtsein. Ist das überhaupt derselbe Merlin, jener,
dem wir in der Historia, den sogenannten »Arthurian Chronicles« eines Wace oder
Layamon, bei Chretien oder de Boron und bei Malory begegnet sind?
    Tatsächlich muß man wohl von zwei Merlin
ausgehen, deren Leben und Schicksale sich bei Geoffrey of Monmouth überblenden.
Und in einer Studie über die »Vita Merlini« gelangt der Amerikaner Parry zu der
Ansicht, daß Geoffrey, der zu jener Zeit als er die »Historia« verfaßte von
Myrddin nicht mehr als den Namen kannte, später Legenden und Märchen aus Wales
gehört hat, die er in seinem zweiten Text verwendete, wobei er zugleich
glaubhaft zu machen suchte, daß der Held der frisch gesammelten Geschichten mit
jenem Merlin identisch sei, über den er in der »Historia« schon geschrieben
hatte. Fragen wir uns nun: was bedeutet das Bild des Merlin im Walde?
     
    Wir haben gesagt, daß derjenige, der das
Wesen der Kultur kennenlernen wollte, in die Wildnis hinaus müsse, denn nur
dort konnte er Aufschluß über das erlangen, was ihm zwar vertraut, aber dennoch
unbekannt war: seine Alltagsnatur… Yvain, Lanzelot du Lac, Tristan verlassen
die Kultur, um vom rohen Fleisch der Tiere zu leben und um in der Wildnis »li
reaume don nus estranges ne retorne«, vom Wahnsinn befallen zu werden. Erst auf
der Grundlage dieser Wildheit war es ihnen möglich, zum Ritter aufzusteigen.
    Gleichermaßen läuft der tungusische
Schamane in die Wildnis hinaus, oder seine »Seele « zieht den Sippenfluß, muängi chokto
bira, den »wäßrigen Flußweg« hinab zu den Geistern der Ahnen, wobei ihm sein
Tamburin als Gefährt in der Gestalt einer Eidergans oder eines Hechtes dient
und er den Schlegel als Ruder benutzt. Auf diese Weise gelangt er schließlich
zu einem »Sippenschamanen-baum«, dessen Wurzeln in die Unterwelt und dessen
Wipfel in die Oberwelt reichen, während die Welt der Menschen sich in der Mitte
des Stammes befindet.
    Hans Peter Duerr, Traumzeit –
    Über die Grenze zwischen Wildnis und
Zivilisation
     
    Soviel sollte hieraus ersichtlich sein: Im
Wald,
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