Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Wassermann

Der kleine Wassermann

Titel: Der kleine Wassermann
Autoren: Otfried Preußler
Vom Netzwerk:
sich für ihn ausgedacht hatte. Er löffelte brav seine Suppe hinein und aß seinen Teller voll Brei - genau wie an jedem anderen Abend. Und als er zu Ende gegessen hatte, stand er auf, um den Eltern gute Nacht zu sagen.
    „Hör mal, mein Junge", begann da der Wassermannvater. „Ich sehe, du willst schon zu Bett. Aber eigentlich -eigentlich passt mir das gar nicht. Ich habe mir nämlich gedacht, du könntest mich noch ein wenig begleiten."
    „Be-glei-ten?", fragte der kleine Wassermann ganz verwundert.
    „Ja", wiederholte der Wassermannvater, „begleiten. Es ist so ein schöner Abend heute. Ich will noch ein Stündchen hinauf, oder zwei - und - ich nehme die Harfe mit."
    „Wirklich?" Der kleine Wassermann dachte, er höre nicht recht. „Hast du wirklich gesagt, dass ich mitkommen darf? - Du, das ist ja ..."
    „Das ist", sprach der Wassermannvater und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, „das ist für dein Abenteuer von heute Nachmittag. Cyprinus hat mir davon erzählt und ich finde, du hast es dir redlich verdient, dass du mitkommen darfst."
    Er nahm seine Harfe und winkte dem kleinen Wassermann, ihm zu folgen.
    Der kleine Wassermann war sehr glücklich darüber. Es war ja das erste Mal, dass sein Vater ihn mitnahm, wenn er am Abend noch einmal hinaufging.
    Wie oft schon hatte der Junge darum gebeten! Und jedes Mal war er auf später vertröstet worden.
    „Wenn du älter bist, lässt sich darüber vielleicht einmal reden", hatte der Vater ihm unlängst erst wieder geantwortet. „Vorläufig bist du für so etwas noch zu klein, da gehörst du am Abend ins Bett."
    Ja, der Wassermann hätte ihm kaum eine größere Freude bereiten können als damit, dass er ihn jetzt mit hinaufnahm.
    Uber dem Mühlenweiher war es schon dunkel geworden. Die Büsche und Bäume am Ufer nahmen sich nurmehr wie Schatten aus. Und am Himmel darüber glänzten die ersten Sterne.
    Das Schilf rauschte auf, als die beiden an Land stiegen. Der Wassermann trug seine Harfe unter dem Arm. Wenn ein Halm im Vorbeistreifen über die Saiten strich, hoben sie sachte zu klingen an.
    Sonst war es still um sie her.
    Nur der Wind kam mit leisem Atem und trug aus den Wiesen das Zirpen der Grillen zu ihnen herüber. Und manchmal regte sich irgendwo in den Zweigen ein Vogel-stimmchen. Es zwitscherte auf, aus dem Traum, und verstummte dann wieder. Und weit in der Ferne, so fern, dass es außer der Welt schien, war dann und wann das Gebell eines Hundes zu hören.
    Der Wassermann schritt auf die alte Weide zu. Er setzte sich unter dem Baum ins Gras. Der Junge setzte sich schweigend daneben und wartete.
    Eine Weile danach hob der Wassermannvater die Harfe. Er lehnte sich gegen die Weide zurück. Dann begann er zu spielen.
    Er spielte so schön, dass der Junge die Augen schloss.
    Als er dann wieder aufschaute, sah er, wie rings aus den feuchten Wiesen die Nebelfrauen emporstiegen, weiß und mit wehenden Schleiern.
    Hatte der Vater mit seinem Spiel sie herauf gelockt?
    Lautlos schwebten sie über den Rasen dahin. Bald nah und wieder entgleitend, tanzten sie mit dem nächtlichen Wind zu den Klängen der Wassermannharfe.

Lauter Silber
    Der kleine Wassermann war wie verzaubert. Er ließ keinen Blick von den tanzenden Nebelfrauen.
    Wie treibende Wolken nahmen sie ohne Unterlass neue Gestalt an. Vor seinen Augen verschmolzen sie miteinander und teilten sich wieder. Und manchmal geschah es auch, dass sich die oder jene von ihnen mitten im schönsten Dahinschweben auflöste, spurlos wie Rauch vor dem Wind.
    Der kleine Wassermann folgte dem flüchtigen Treiben so gebannt, dass er gar nicht bemerkte, wie hinter den Hügeln allmählich ein blasser, rötlicher Lichtschein am Himmel heraufkam. Er wurde ihn erst gewahr, als der Vater sein Harfenspiel unterbrach und ihn leise anrief.
    „Sieh hin!", rief der Wassermannvater mit halber Stimme und wies dabei nach der schimmernden Stelle am Himmelsrand. „Bald wird er aufgehen."
    „Wer denn?", wollte der kleine Wassermann ebenso leise zurückfragen. Weil aber der Vater in diesem Augenblick wieder fortfuhr, auf seiner Harfe zu spielen, schluckte der Junge die Frage hinunter und dachte: Ich werde ja sehen, was er gemeint hat.
    Der schimmernde Streifen am Himmelsrand wurde heller und heller, je länger der kleine Wassermann voller
    Erwartung hinübersah. Immer höher empor stieg der rötliche Schein, immer kräftiger floss es von unten nach. Bald vermochte der kleine Wassermann jeden einzelnen Baum auf den Hügeln
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher