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Der kleine Wassermann

Der kleine Wassermann

Titel: Der kleine Wassermann
Autoren: Otfried Preußler
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der Nase hatte er ein Gestell aus Draht oder so etwas Ähnlichem sitzen. Es waren zwei Ringe mit einem Bügel dazwischen. Von jedem der beiden Ringe ging außen ein langer Draht weg, der am Ende gebogen war. Mit diesen umgebogenen Enden hing das Gestell an den Ohren des Menschenmannes.
    Der kleine Wassermann hatte sein Lebtag noch keine Brille gesehen, er wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt. Was mag das nur für ein Gestell sein?, ging es ihm durch den Kopf. Ob ich nicht rasch an die Straße laufe und mir das Ding aus der Nähe begucke?
    Hops, sprang der Wassermannjunge hinunter ins Gras und lief an die Straße. Dort wartete er, bis der Menschen-mann angestorcht kam. Da trat er ihm in den Weg, zog die Zipfelmütze und sagte: „Guten Tag, Menschenmann! Sag mal, was ist denn das eigentlich für ein Ding da auf deiner Nase?"
    Der Fremde blieb stehen, schaute den kleinen Wassermann durch die beiden Ringe an und erwiderte unwirsch: „Du hast es gerade nötig, dich über andere Leute lustig zu machen!"
    „Wie meinst du das?", fragte der kleine Wassermann.
    Der Menschenmann rümpfte die Nase. „Na, hörst du! Wenn jemand so scheußliche grüne Haare hat, sollte er lieber ganz still sein. Wie kann ein Mensch nur so grüne Haare haben!"
    „Entschuldige", wandte der kleine Wassermann ein. „Ich bin ja gar kein Mensch. Ich bin ja ein Wassermann."
    „Was?", rief der Lange. „Ein Wassermann? Dass ich nicht lache! Und so einen Unsinn soll ich dir auch noch glauben?"
    „Wieso ist das Unsinn? Es stimmt doch", sagte der kleine Wassermann.
    „Ja, es stimmt, dass du dumm bist. Ein Wassermann willst du sein? Ach, du meine Güte, ein Wassermann! Hat man denn so etwas schon gehört? Wassermänner gibt es doch gar nicht!"
    „Wie?", rief der kleine Wassermann. „Wen gibt es nicht?
    Du wirst doch nicht etwa behaupten wollen, dass ich nicht hier vor dir stehe? Sieh mich doch an!"
    Es fuchste ihn, dass der Menschenmann so gesprochen hatte. Aber es kam noch viel besser!
    „Lass mich mit deinem Gefasel zufrieden, du grüner Bengel, du!", fuhr ihn der Menschenmann an. „Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, dann setzt's was! Was denkst du dir eigentlich? Sehe ich wirklich so dumm aus, als würde ich noch an den Wassermann glauben? Es gibt keine Wassermänner, verstanden!"
    „Jetzt reicht's aber!", schimpfte der kleine Wassermann. „Wenn du nicht glauben willst, was du siehst, dann ... Dann bist du so dumm, wie du lang bist!"
    „Waaas?", rief der Menschenmann aufgebracht und er drohte ihm zornig mit seinem zusammengeklappten Regenschirm. „Was bin ich? Sag das noch einmal, du freche Kröte!"
    Er machte einen Satz, als wollte er den kleinen Wassermann beim Schlafittchen nehmen. Der aber ließ sich so schnell nicht erwischen. Husch, war er schon ein paar Schritte davongelaufen.
    „Fang mich doch, wenn du kannst, du langer Dummerjan!", rief er und drehte dem Menschenmann eine lange Nase. „Du bekommst mich ja doch nicht!"
    „Das werden wir erst sehen!", schnaubte der Lange.

    Er schwang seinen Regenschirm wie einen Säbel und setzte in großen Sprüngen dem kleinen Wassermann nach. So rannten sie quer durch die Wiesen, dem Mühlenweiher zu.
    Warte, dir will ich's zeigen, ob es mich gibt oder nicht!, dachte der kleine Wassermann. Ich muss dich nur erst an der richtigen Stelle haben! Er lief nicht zu schnell und nicht zu langsam. Er lief immer im Zickzack und so, dass der Menschenmann jeden Augenblick meinte: Beim nächsten Schritt kriege ich ihn! Und dann griff er doch wieder nur in die Luft.
    Aber als sie am Ufer des Mühlenweihers angekommen waren, da drehte sich der kleine Wassermann blitzschnell um, erwischte den Menschenmann bei den Füßen und zerrte ihn - flutschdich! - ins Wasser.
    Der Menschenmann wusste erst gar nicht, wie ihm geschah. Er wollte um Hilfe rufen und fuchtelte ganz verzweifelt mit seinem Regenschirm. Aber der kleine Wassermann tauchte ihn unter, bevor er auch nur einen einzigen Schrei hatte ausstoßen können. Und weil ihn der Menschenmann so in die Wolle gebracht hatte, tauchte er ihn gleich noch mal und noch mal und immer noch einmal. Bis der Lange so viel Mühlenweiherwasser geschluckt hatte, dass er rot und blau im Gesicht wurde. Da ließ ihn der kleine Wassermann endlich los.

    Der Menschenmann krabbelte ganz verdattert ans Ufer. Sein schöner schwarzer Anzug klebte ihm klatschnass am Körper. Seine Haare waren voll Schlamm. Er zog eine lange Schleppe von Teichgras und Schlingpflanzen
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