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Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Titel: Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)
Autoren: Kester Schlenz , Joja Wendt
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zischte die Luft. Trümmer fielen vereinzelt auf den – nun leeren – Thron herab.
    Dann war es still.

    Keines der Instrumente sprach. Niemand spielte. Das Donnern und Blitzen draußen auf der Ebene hatte aufgehört, und die Dimensionsrisse waren nicht mehr zu sehen. Die magische Drift war zum Stillstand gekommen.
    «Wir haben es geschafft», sagte der Flügel leise. Die blaue Aura um ihn wurde schwächer.

    Da erzitterte der gesamte Turm erneut. Ein großer Riss fraß sich in Sekundenschnelle durch die hintere Wand, Trümmer stürzten von der Decke, und ein gewaltiges Stöhnen war zu hören. Der Riss wurde breiter. Eine Säule stürzte in sich zusammen.
    Und erst jetzt reagierte der Flügel: «Hinaus! Alle hinaus! Der Turm! Er stürzt ein!»
    Die Instrumente begriffen, und in wilder Panik stürzten alle hinaus, um sich auf der Ebene in Sicherheit zu bringen – gerade noch rechtzeitig. Denn kaum hatten die Letzten den Turm verlassen, da stürzte das riesige Bauwerk unter infernalischem Getöse in sich zusammen und begrub die Orgel unter sich. Theodoras Schicksal war besiegelt.
    Eine gewaltige Wolke aus Staub und Asche erhob sich über den Trümmern, und inmitten dieser Wolke flatterten und tanzten Tausende von Notenblättern, die aus der großen Bibliothek befreit worden waren, und wurden hinaus auf die Ebene geweht.
    Alle sahen dem Schauspiel mit gemischten Gefühlen zu.
    Dann rief der Flügel: «Die Noten! So viel Geschichte. So viele wertvolle Kompositionen. Sie dürfen nicht verlorengehen. Lasst sie uns retten!»
    Er rollte los und fing so viele der umherfliegenden Notenblätter ein, wie er konnte. Ein Ruck ging durch die versammelte Instrumentenschar, und nur wenige Augenblicke später rasten alle hinaus auf die Ebene und halfen mit, die kostbaren Niederschriften zu retten.
    «Wie eifrige Boten der Noten», sagte Tri später.
    Schließlich lag ein großer Stapel Noten in einem geschützten Winkel hinter einem großen Stein.
    «Ich dachte, ihr hasst dieses ganze Zeugs», sagte Strato.
    «Nein», antwortete der Flügel. «Wir hassen nicht die Noten, nur das, was Theodora daraus gemacht hat. Den Zwang. Den Druck. Sie hat die Überlieferungen zur Diktatur des Geschriebenen gemacht. Nur das hassen wir.»

    Schweigend standen die Instrumente da, und es war, als ob alle aus einem bösen Traum aufwachen würden. Die Guarneri, die von Strato und Fendi mit nach draußen gebracht worden war, stöhnte leise.
    Die Gefährten waren nun alle wieder beisammen; zwar verletzt, aber es gab nichts, was nicht repariert werden konnte. Tri schwebte mit stolzgeschwellter Brust umher und ließ sich von Moog und den Samplern als «größter kleiner Kämpfer der Ebene» feiern.
    «Du bist ein echter Killer», lobte der Synthesizer seine tapfere Freundin. Die Celesta bewegte sich langsam auf den Flügel zu und blieb neben ihm stehen. Der rollte noch ein Stück dichter an sie heran.
    Es herrschte Frieden in der Ebene.

    Der Flügel öffnete seinen Deckel, die Lyra schwebte hinaus und stand inmitten der Instrumentenschar in der Luft.
    Ihr Leuchten wurde immer stärker.
    Sie verharrte kurz über dem Flügel, hüllte ihn in ihr überirdisches blaues Licht und begann, in den dunklen Himmel aufzusteigen.
    Staunend sahen ihr die Instrumente hinterher.
    Sekunden später begann der Notenmond zu verblassen, und die Lyra stand leuchtend am Himmel und erhellte die Ebene.

    Der erste Tag in der magischen Welt der Musik war angebrochen – in einer Welt, in der Noten, freies Spiel und alle Instrumente, alle Epochen und Stile von nun an ihren Platz haben würden.

[zur Inhaltsübersicht]
    Nelly setzt sich durch
    G roßvaters Geschichte ist zu Ende.
    Nelly sitzt ganz still auf dem Sofa im Wohnzimmer ihrer Eltern. Draußen ist es bereits dunkel geworden, und der Wind rüttelt an den Fensterläden.
    «Fast wie in der Turmwelt», denkt Nelly und schüttelt sich. Ihr Großvater lächelt sie an, erhebt sich langsam aus dem alten chinesischen Stuhl und holt sich noch einen Tee. Dann setzt er sich wieder und sagt: «So, meine Große, das war nicht nur eine Geschichte. Das war auch ein Ratschlag. Mach was draus.»
    «Wie meinst du das?», fragt Nelly.
    «Da musst du schon selbst draufkommen», sagt ihr Großvater und lacht. «Und jetzt hab ich Hunger.»

    Später in der Nacht liegt Nelly lange wach und denkt über die Geschichte ihres Großvaters nach. Sie ist immer noch «mittendrin» in der magischen Welt der Musik. Sie kann diesen Flügel so gut
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