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Der kleine Erziehungsberater

Titel: Der kleine Erziehungsberater
Autoren: Axel Hacke
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Nerven haben, wird Ihnen das Leben schwer werden. Einmal hörten wir frühmorgens, noch dahindämmernd, aus Max’ Zimmer einen grauenhaften, kehligen, unartikulierten Schrei. Wir stürzten die Treppe hinauf, erwarteten den Jungen in seinem Blute zu finden, mit gebrochenen Gliedmaßen, was weiß man denn um diese Tageszeit?! Wir rissen die Tür auf und sahen den Kleinen fassungslos im Zimmer sitzen und brüllen: »Wo ist mein geiler Flieger!?« (Den hatte die Putzfrau am Tag zuvor in eine rote Plastikkiste geräumt und dieselbe auf den Schrank gestellt.)
    Kleinigkeiten. Aber einmal hat Anne beim Frühstück gesagt: »Wir haben gestern etwas ganz, ganz Schönes für dich im Garten gemacht.«
    Ich: »Ja, was habt ihr denn da, liebe Kinder, das ist ja lieb, das schaue ich mir jetzt an.« Im Garten war auf dem Rasen ein Rechteck mit Zweigen abgesteckt. In der Mitte des Rechtecks lag eine rosa Puppenbadewanne mit alten Blumen darin. Davor waren sorgsam weitere Zweige drapiert.

    Ich: »Das ist aber schön, das sieht ja wunderbar aus. Was ist es denn?«
    Anne, stolz: »Das ist ein Grab für dich.«
Am Familientisch
    M ax rülpst. Fünf Jahre alt und rülpst ständig. Er kann es noch nicht richtig, das Geräusch hat keine Tiefe und ist ein wenig blass, das liegt wohl am fehlenden Resonanzboden bei Fünfjährigen. Aber er übt ständig – bei Tisch, bei den Großeltern, gern auch, wenn Besuch kommt.
    Die Eltern: »Max, kannst du das mal bitte lassen. Man rülpst nicht, wenn andere Leute da sind, es stört sie.«
    Max rülpst.
    Die Eltern: »Du, Max, das finden wir jetzt echt nicht so gut. Lässt du das mal bitte?«
    Max rülpst.
    Die Eltern (Versuch einer paradoxen Intervention des dreifachen Axels der Kindererziehung): »Max, wir hören es gerne, wenn du rülpst, das Geräusch gefällt uns so, bitte rülpse noch mehr.«
    Kurzes Nachdenken. Max rülpst.
    Die Eltern unter sich: »Wir müssen das Rülpsen ignorieren. Es geht ihm nur darum, auf sich aufmerksam zu machen. Er ist der Zweitgeborene, vergessen wir es nicht.« Sie ignorieren das Rülpsen.
    Max rülpst.
    Die Eltern denken darüber nach, ob es sinnvoll wäre, das Kind einem Arzt vorzustellen. Es könnte einfach Verdauungsprobleme haben. Sie verwerfen den Gedanken; der Stuhlgang des Knaben ist normal.
    Max rülpst.
    Die Eltern fragen sich: Ist Rülpsen schlimm? Sind wir nicht Spießer, dass wir uns am Rülpsen eines Fünfjährigen stören? Der Vater ruft: »Es stört mich aber doch, verdammt!«
    Max rülpst.
    Die Eltern laut: »Max, es langt jetzt endlich, verdammt noch mal, wenn du nicht aufhörst, müssen wir dich ins Zimmer schicken, denn du störst alle anderen am Tisch.«
    Max rülpst.
    Die Eltern bringen Max in sein Zimmer. Das Kind schreit, klagt, weint, öffnet die Zimmertüre und schlägt sie wieder zu, bejammert sein Schicksal, schreit seine Wut hinaus, bricht heulend auf dem Ziegenhaarteppichboden seiner Behausung zusammen.
    Die Eltern werden mitleidig, gehen nach oben: »Du darfst jetzt wieder herunterkommen, wenn du nicht mehr rülpst.«
    Max kommt wieder an den Esstisch, setzt sich mit versteinertem Gesicht auf seinen Platz. Die Eltern (denkend): »Es war hart, aber nun haben wir es geschafft.« Die Familie isst schweigend. Es kehrt Ruhe ein im Haus. Stille senkt sich über den Tisch, Frieden in die Herzen der Erziehenden.
    Man hängt seinen Gedanken nach.
    Da rülpst Max.
»Du kennst mich nicht!«
    E inmal träumte der Erziehungsberater, seine Kinder wären groß, und sie wären alle – wie sagt man? – »aus dem Haus«, und er müsste sich nicht mehr um sie kümmern. Aaaaah, er wäre aller Sorgen ledig und könnte morgens schlafen, bis der Kindergarten schon lange aus ist, und spät im »Ruffini« frühstücken und Bücher lesen, wann er wollte, und durch die Kneipen ziehen nachts, o warte.
    Dann musste er aber doch abends den kleinen Max ins Bett bringen, der einen schlechten Tag gehabt hatte und durch die Gegend brüllte wie blöd, ganz überdreht und übermüdet, und sinnlos heulend im Bett saß.
    Ich sprach, nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten des Zuredens, den schlichten Satz: »Max, nun leg dich einfach hin und schlaf, du bist so furchtbar müde.«
    Max: »Ich bin nicht müde!«
    Ich: »Doch, du bist müde, das weiß ich.«
    Max: »Woher weißt du das?!«
    Ich: »Weil ich dich kenne.«
    Max: »Du kennst mich nicht!!«
    Ich: »Doch, ich kenne dich, Max, ganz lange schon.«
    Max (schreiend, voller Wut): »Nein!!! Du kennst mich nicht.
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