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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman
Autoren: Insel Verlag
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schaute zu ihm hinunter und versetzte ihm einen Schubs mit der Schulter. Der Junge hatte ein weit schwereres Schicksal zu tragen als sie. »Keine Sorge, Großauge, ich bin nur sauer und müde. Außerdem platze ich gleich vor Hitze. Ich gehe nicht fort, schon gar nicht weit fort. Immerhin verdiene ich hier genug, um etwas nach Hause zu schicken. Und Hastinapore gefällt mir auch. Ich habe schlimme Geschichten über die Großstadt gehört.« Ihr Blick verfinsterte sich. »Als ich zu Ganga Ba kam, ist eine Freundin von mir in die Stadt gezogen, weil sie ihr dort mehr Geld geboten haben. In so einer Großstadt ist viel mehr los als hier. Man muss sogar Schlange stehen, wenn man im Mandir beten will. Mein Freundin konnte ins Kino gehen und sogar ans Meer. Stell dir vor! Ans Meer! Aber eines Tages hat sie sich nicht mehr gemeldet. Und seither hat nie wieder jemand etwas von ihr gehört.«
    Kalu konnte sich noch gut erinnern, wie traurig Malti ausgesehen hatte, als sie ihm die Geschichte erzählte. Aber wenn er sie
mit dem Barfi überraschte! Da würde sie sich freuen. Kalu lachte jetzt laut auf, als er sich ihr Gesicht vorstellte. Er wickelte den Zehn-Rupien-Schein in zwei große Blätter und knotete das Bündel in eine Ecke seines Hemds, wo es vor neugierigen Blicken sicher war. Hinkend machte er sich auf den Weg zum Basar.
    Wenn er geschickt mit dem Geld umging, blieb vielleicht sogar genug übrig, um ein paar Leckereien für Bal, den Büffelhirten, zu kaufen.
    Kalu wusste genau, dass auch Bal noch nie Barfi gegessen hatte. Als Bals Mutter gestorben war, hatte sein Vater den Jungen als Leibeigenen an einen Bauern verkauft. Für den hütete er nun von früh bis spät die Büffel. Erst wenn sie wieder im Stall standen, war seine Arbeit getan.
    Die meisten Leute mieden den Jungen, weil er immer nach Büffel stank, ganz gleich, wie sehr er sich schrubbte. Bal selbst sprach kaum mit jemandem außer seinen Büffeln. Kalu war sein einziger Freund. Der kleine Hirte war einer der wenigen, die auch nach Kalus Verletzung noch bedingungslos zu ihm hielten. Bal wäre bestimmt genauso begeistert von einem Stückchen Barfi wie Malti.
    Kalu beschloss, zuerst die Flöte zu kaufen und dann zum Süßwarenhändler zu gehen. Flöten gehörten eigentlich nicht zum Sortiment des Panwalla. Doch Ravi, Jaya-shri Bens Ehemann, war in der großen Stadt gewesen und hatte von dort eine für seinen Sohn mitgebracht. Kalu hatte gehört, wie Ravi seiner Frau erklärte, es sei viel billiger gewesen, statt einer gleich drei zu kaufen. Die übrigen zwei könnten sie doch leicht in ihrem Laden verkaufen. Leider hatte Jaya-shri Ben nicht die angemessene Begeisterung gezeigt.
    Die Kundschaft des Panwalla bestand vornehmlich aus Männern, oft Dienstboten. Kinder oder begeisterte Eltern, die ihre Kleinen mit Geschenken überhäuften, gehörten kaum dazu. Die Flöten waren aus Plastik und gerade so groß, dass die Finger sich beim Spielen nicht in die Quere kamen. Auf einer Seite
waren sie grün, auf der anderen gelb. Natürlich konnte man nicht wie auf einer richtigen Flöte darauf spielen, aber immerhin war eine Plastikflöte besser als keine. Ravis Sohn hatte die erste nach vier Tagen zerbrochen. Nach sechs Tagen hatte er die zweite aus Versehen zertreten. Daraufhin hatte Jaya-shri Ben die letzte resolut an sich genommen und neben die Kasse gelegt.
    Sie würde ihm einen guten Preis machen, wenn er ihr von der versprochenen Heilung seines Fußes erzählte, das wusste Kalu. Wie er selbst feilschte sie für ihr Leben gern.
    *
    Als Kalu an Ganga Bas Haus ankam, hatte er bereits vier Stücke Barfi verzehrt. Er arrangierte die Konfektstücke um, die noch in der roten Schachtel lagen, und schob das schmale, goldene Band wieder darüber.
    Das Haus lag im Dunkeln. Nur zu beiden Seiten des Eingangs standen zwei Lichter in kleinen Tongefäßen. Der Himmel war sternenlos, und der vertraute rote, rostige Zaun und der Garten waren nicht sichtbar.
    Als Kalu auf das Haus zuging, bemerkte er einen Lichtstreifen unter der Vordertür, dennoch tastete er sich durch die Dunkelheit zur Hintertür an der Küche vor.
    Malti war gerade dabei, draußen am Wasserhahn das letzte Geschirr zu waschen. Sie ließ ihren Sari herunter, den sie gerafft hatte, damit er nicht nass wurde, und führte Kalu ins Wohnzimmer. Er zögerte. Zum ersten Mal kam er nicht, um einen Auftrag zu erledigen. Das Haus sah anders aus, fremd.
    Kalu holte tief Luft und dachte daran, wie er am Morgen hoch oben im
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