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Der Kelte

Der Kelte

Titel: Der Kelte
Autoren: Claire Gavilan
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deutete gen Himmel und sagte etwas auf Bretonisch.
    „Wir werden unseren Sternen folgen“, übersetzte sie seine Worte. Plötzlich ging ihr auf, dass sie das Bretonische nicht irgendwann vor dem Segelunfall ihrer Eltern gelernt hatte, sondern dass es ihre Muttersprache war. Der Gedanke raubte ihr für einen Augenblick den Atem.
    „Glynis“, sagte sie, nachdem sie sich von der Erkenntnis erholt hatte. „Sie stammt auch aus unserer Zeit, oder?“
    „Aus dem ersten Jahrhundert vor Christus, ja.“ Alan ließ sie los, wandte sich zu den Wildrosen um und brach eine der dunkelroten Blüten ab. Mit dieser in der Hand wandte er sich wieder zu Rose um. Langsam drehte er den Zweig zwischen den Fingern hin und her. „Sie schützen uns vor Branwens Einfluss. In ihrer Nähe kann ich mich besser gegen sie wehren.“
    Rose nahm ihm die Blüte ab, roch daran. Der intensive Duft machte sie schwindelig. Sie konnte den Blick nicht von Alans Gesicht abwenden.
    „Warum ist das so?“, fragte sie mit heiserer Stimme.
    Er zuckte die Achseln. Das silbrige Licht der Sterne ließ die Muskeln an seinem Oberkörper wirken wie aus Marmor. „Vielleicht eine Gunst der Göttin.“
    „Vielleicht aber nur ein Mittel, um uns noch mehr zu quälen“, sagte Rose.
    Er fragte nicht, wie sie das meinte. Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinab und dann wieder hinauf bis zu ihrem Gesicht. Sie glaubte, seine Blicke auf sich zu spüren, als seien es Hände. Hände, die sie streichelten und liebkosten. Ihr Herz klopfte so heftig, dass es sich anhörte wie eine Trommel. Auf einmal bekam sie keine Luft mehr. Schwer schluckte sie.
    „Du bist so unendlich schön.“ Seine Stimme war ein wenig belegt.
    Sie nickte zögernd. Und nun? Ein kühler Luftzug strich ihr über Nacken und Hals. Ein wohliger Schauer rann ihr vom Genick bis hinunter zu den Waden.
    Er sah es, da war sie sich ganz sicher. Er lächelte leicht. Himmel, was sollte sie jetzt tun? Er trat dichter vor sie hin. Sie wich nicht zurück.
    Seine Haare waren feucht, und er roch nach der Kernseife, mit der er sich kurz zuvor unter der Pumpe hinter dem Haus gewaschen hatte. In Roses Kopf drehte sich alles. Sein Blick hielt sie gefangen.
    Er nahm ihr die Rose ab, legte sie auf die Bank hinter sich.
    In einer eleganten Bewegung, die fast einem Tanzschritt glich, glitt er halb um Rose herum. Sie wich rückwärts aus. Er berührte sie nicht, trieb sie allein durch seine Gegenwart vor sich her, hinaus aus dem kleinen Garten und hinunter zum Weiher, bis sie weiches Moos unter ihren bloßen Füßen spürte.
    „Bleib stehen!“, sagte er.
    Sie gehorchte. Wie gebannt stand sie da, gefangen von dem gleichzeitig ruhigen und gierigen Blick aus seinen Augen.
    „Leg dich hin!“ Fest war seine Stimme jetzt, aber auch sehr heiser, und sie gehorchte ihm erneut.
     
    „Wie geht das?“ Rose drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in eine Hand, sodass sie Alan ansehen konnte, der neben ihr lag. Der Nachtwind kühlte ihre erhitzten Körper.
    Alans Miene war sehr ruhig und entspannt. „Was meinst du?“
    „Wieso bin ich so hin- und hergerissen? Ich meine: Ich habe dich blutbeschmiert gesehen und war davon abgestoßen.“ Bei diesen Worten sah sie ihn schwer schlucken. Um ihren Worten die Härte zu nehmen, griff sie nach Alans Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. „Eben aber habe ich mich dir mit ganzer Leidenschaft hingegeben, und jetzt ist da nichts mehr von Abscheu in mir.“
    Er schwieg lange, schien zu überlegen, was er ihr antworten sollte. Dann sagte er: „Wir wurden in kriegerischen Zeiten geboren, Rose. Damals, als wir Kinder waren, waren Tod und Kampf allgegenwärtig und völlig normal. Vielleicht lebt das in dir fort, auch wenn du inzwischen so viele Leben gelebt hast.“
    Ein Lied geisterte Rose durch den Kopf, eine raue Stimme, die sang: I’m holding out for a hero ’til the end of the night.
    „He’s gotta be strong and he’s gotta be fast, and he’s gotta be fresh from the fight.“ Den letzten Satz summte sie leise vor sich hin.
    Alan lächelte. „Bonnie Tyler. Es trifft die Sache ziemlich genau, glaube ich.“ Er entzog ihr seine Hand. Dann beugte er sich über Rose, küsste sie, und sie entflammte aufs Neue für ihn.
     
    Beim Frühstück wagte Rose es nicht, von ihrem Teller aufzusehen, weil sie das Gefühl hatte, dass man ihr an der Nasenspitze ablesen konnten, was vergangene Nacht geschehen war. Sie fühlte sich erhitzt und gleichzeitig fröstelte sie, wenn
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