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Der Kapuzenmörder

Der Kapuzenmörder

Titel: Der Kapuzenmörder
Autoren: Paul C. Doherty
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Bedrohung dar; weshalb schlug Ragwort dann das Herz bis zum Halse? Weshalb war seine Kehle trocken und kroch diese furchtbare Kälte in seinem Nacken herauf, als habe einer der Gehenkten sich herabgelassen und streichle ihn? Dann erkannte Ragwort den Grund: Er hörte noch andere Schritte. Jemand lief hinter der alten Frau her. Diese zweite Person bewegte sich schnell und äußerst zielstrebig. Die Frauengestalt blieb stehen, als auch sie die Schritte hörte. »Wer ist da?« rief sie. »Was willst du?«
    Ragwort straffte sich und steckte die Faust in den Mund. Er fühlte das Böse herannahen. Er wollte warnend schreien. Etwas Furchtbares würde geschehen. Eine zweite Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und kam auf die alte Frau zu.
    »Wer bist du?« wiederholte sie. »Was willst du? Ich bin in Gottes Angelegenheiten unterwegs.«
    Ragwort stöhnte leise. Sah die Frau es denn nicht? Spürte sie nicht das Unheil, das da durch die Dunkelheit herankroch? Die zweite Gestalt kam immer näher. Ragwort konnte nur einen Mantel und eine Kapuze erkennen. Als der Mond hinter den Wolken hervorkam, schimmerte weiße Haut, und Ragwort sah, daß auch der zweite Fremde Sandalen trug. Die alte Frau entspannte sich.
    »Ach, du bist es!« fauchte sie. »Was gibt’s denn?«
    Ragwort verstand die gemurmelte Antwort nicht. Die beiden schienen zu verschmelzen. Ragwort sah Stahl aufblitzen und kniff die Augen zu. Er hörte das sanfte Schneiden einer rasiermesserscharfen Klinge, die durch Haut, Ader und Luftröhre drang. Ein grauenhafter Schrei zerstörte die Stille und endete in einem schrecklichen Gurgeln, als die alte Frau auf den Pflastersteinen zusammenbrach und an dem Blut erstickte, das ihr in die Kehle quoll. Ragwort öffnete die Augen. Die zweite Gestalt war verschwunden. Die alte Frau lag wie ein zerknülltes Kleiderbündel auf dem Boden. Sie bewegte sich noch einmal, aber Ragwort saß vor Grauen wie gelähmt da und sah, wie das Blut in einem dünnen Rinnsal zwischen den Steinen auf ihn zufloß.

    Ein paar Tage später saß Isabeau die Flamin in einer Kammer unter dem Dach einer verfallenen Villa an der Ecke zwischen Old Jewry und Lothbury und zählte die sorgfältig aufgestapelten Münzen, die Früchte einer Nacht voll harter Arbeit. Drei Besucher hatte sie empfangen: einen jungen Edelmann, lüstern und kraftvoll, einen Reitersoldaten von der Garnison im Tower und einen alten Kaufmann, der sie gern fesselte, bevor er sich neben sie legte. Isabeau grinste. Er machte immer die wenigste Mühe, war schnell befriedigt und großzügig in seiner Dankbarkeit. Isabeau zog die Bänder aus ihrem leuchtend roten Haar und schüttelte ihre Locken. Dann streifte sie das blaue Damastkleid ab und warf es zusammen mit ihrem Hemd und der Strumpfbandhose unordentlich auf einen Haufen. Sie stand auf und drehte sich vor der blanken Metallplatte, die ihr als Spiegel diente, hin und her. Dieses Ritual vollzog sie jede Nacht. Die alte Mutter Tearsheet hatte es ihr geraten.
    »Eine Kurtisane, die auf sich achtet, Isabeau«, hatte die alte Vettel gekichert, »bleibt jünger und lebt länger. Merk dir das.«
    Isabeau ging zu der Zinnschüssel, die auf dem Lavarium stand, und mit einem Schwamm und einem Stück kastilischer Seife, das ihr ein dankbarer genuesischer Kapitän geschenkt hatte, wusch sie sich sorgfältig den glatten, alabasterweißen Körper. Sie fuhr zusammen, als ein kleiner Vogel, der unter der Dachkante des alten Hauses umherflatterte, an die Fensterläden stieß. Eine Katze, die unten auf der dunklen Gasse jagte, sang dem Mond ihr schrilles Lied. Isabeau hielt inne und lauschte auf das Knarren des alten Hauses. Sie mußte sehr vorsichtig sein. Der Mörder hatte schon vierzehn ihrer Schwestern ermordet — oder waren es mehr? So roh hatte er ihnen die Hälse durchgeschnitten, daß ihre Köpfe nur noch an Knochen und Muskelfasern gebaumelt hatten. Eine Tote hatte sie gesehen, Amasis, die junge französische Hure, die immer so zierlich die Milk Street auf und ab getrippelt war und nach Kunden Ausschau gehalten hatte. Isabeau wandte sich wieder ihrer Waschschüssel zu und genoß das sinnliche Gefühl des Schwamms auf ihrer Haut. Sie umfaßte ihre vollen jungen Brüste und strich sich über den muskelstraffen, flachen Bauch. Ein Geräusch kam von der Treppe — vermutlich eine stöbernde Ratte, dachte sie, griff nach dem Handtuch und begann sich abzutrocknen. Sie stellte die Kerze auf eine kleine Truhe neben dem riesigen Bett mit der
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