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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte
Autoren: Robert Schindel
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da war, am Wort »standhalten« fest, das mich sogleich wie in einem gebröckelten Fußboden an den Knöcheln einklemmte, daweil ich die Wodkaschwaden ins Gesicht getrieben bekam.
    »Diese Brunzbuschn«, brüllte Fraul und wandte sich an Apolloner, an Hirschfeld und den Rest der Welt, »hat sich über mich ausgeschissen …«
    »Fraul«, unterbrach ihn Apolloner, griff ihm auf die Schulter und tätschelte sie.
    »Wenns wahr ist. Die soll hier nicht rumstinken. Wenn du kein Weib wärst, hättest dir jetzt ein paar Oaschtritte eingefangen, dass d'…«
    »Ruhig, Karel«, sagte Hirschfeld, nahm seine andere Schul
ter, und beide Männer führten ihn zu seinem Wodka zurück. Ich verzog mein Gesicht in der Hoffnung, dass dies beim Publikum als Lächeln durchging, durchquerte den Raum und setzte mich zu einem Nischentisch. Wenn der Lechner die Rezension geschrieben hätte, dachte ich mir, wäre der Arsch jetzt sooo klein. Am Nebentisch saß Emanuel Katz und unterhielt sich mit einer Freundin von Apolloner, aus Tirol wie Roman, der mir alsogleich auf dem Fuß folgte und zum Nachbartisch ging. Er zwinkerte mir zu, und Katz begann mich zu sich zu winken. Ich wollte mich nicht dazusetzen, nichts wie weg wollte ich, aber nun musste ich doch eine Weile hier rumhängen, und ich setzte mich zu ihnen hinüber.
    »Sein Vater ist anders«, sagte Apolloner.
    »Das glaube ich«, sagte Katz. »Sein Auschwitzbuch ist das Beste, was es gibt, und ich kenne viele.«
    »Grad heute hab ich ihn interviewt.« Apolloner schaute sich nach einem Kellner um, während er redete. »Ein bescheidener alter Herr. Ruhig und total cool erzählt er von den grauenhaftesten Dingen. Als wärs, ich weiß auch nicht, als wärs alltäglich oder so.«
    »Diese Zischka«, hörten wir den Fraul brüllen, denn er brüllte an Hirschfelds Ohren vorbei zu uns herüber, »keine Ahnung von Tuten und Blasen, das heißt vom Blasen schon bei ihrem Chef.«
    Das Gegröle wurde aber allmählich von beschwichtigendem Gemurmel zugedeckt und eingeschlossen, denn Hirschfeld, der Bursche hinter der Theke und noch ein paar Umstehende redeten auf ihn ein.
    »Bring mir ein Viertel Weiß«, rief Apolloner dem vorbeilaufenden Kellner nach. Der blieb stehen, und ich bestellte ein Achtel Rot und begann mich mit Katz zu unterhalten. Emanuel versuchte seit Jahren ein Buch zu schreiben, ar
beitete in einer Bank und lief in seiner Freizeit den Frauen nach.
    »Was macht dein Roman?«
    »Heute«, antwortete er und hob sein Glas, »hab ich ihn endgültig aufgegeben.« Er trank seinen Wein aus, zündete sich eine Zigarette an und starrte mir ins Gesicht. »Ich hab ihn verbrannt, Judith«, flüsterte er. »Eingeäschert.«
    »Schade.«
    »Ist nicht schade. Ist vortrefflich. Ich muss mich nun um mich selber kümmern. Als junger Vollwaise muss ich jetzt rasch erwachsen werden«, er lachte. Dazu sagte ich gar nichts, schaute rüber zu Apolloner und Freundin, die sich in ihrem hartkehligen Dialekt unterhielten. Das Achtel austrinkend, wollte ich zahlen.
    »Das zahle ich«, sagte Katz und schaute mir lachend in die Augen. Mir war flau im Magen, auch musste ich ja wieder an diesem Fraul vorbei.
    »Jetzt muss ich an Karl vorbei«, sagte ich zu Katz. Er nickte.
    »Seit er an der Burg ist, schwillt ihm ständig der Kamm. Aber der wird schon noch. Lass es gut sein. Gehen wir.«
    »Ja?« Nachdem ich unschlüssig aufgestanden war, legte er mir den Mantel um die Schultern, gab mir einen Schubs.
    »Ich lass ihn eh«, antwortete ich im Hinausgehen, steif an Karl Fraul vorüber, und der bemerkte mich nicht. Auf der Gasse musste ich losheulen. Katz schaute gutmütig zu mir herauf, hakte sich ein und zog mich vom Pick Up weg.
    Bei ihm angekommen, hatte ich nichts dagegen, doch musste ich immer wieder weinen und weinte auch bereits wegen des ständigen Weinenmüssens, sodass Emanuel mich bloß in den Armen hielt und mein Haar und meinen Rücken streichelte. Endlich war ich so eingeschlafen.
    3.
    Drei Tage nach seinem Geburtstag musste Edmund Fraul wiederum auf ein Begräbnis. Der alte Freund Bobby Heller war an seinem Blasenkrebs endlich gestorben. Die letzten Wochen war Fraul etliche Mal im Rudolfspital gewesen und hatte der inneren Auflösung des um vier Jahre Älteren zugesehen. Gelegentlich war Rosa mitgekommen, sie standen zusammen mit Bobbys Frau um sein Bett herum und schauten auf den Kranken hinunter.
    Bobby war ein tapferer Kerl gewesen. Nicht nur am Ebro bei der Elften Internationalen Brigade Spaniens in
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