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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte
Autoren: Robert Schindel
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Leichentuch zu wickeln. Was für eine Wichtigkeit, jemandem Botschaften abzulauschen. Mitten im Geraune, unterm Flügelschlag der Raben, von der Eule beobachtet, der Strahlhans mit nerviger Rechten, verborgener Linken, schnellen Fußes, ein Bote, ein Vollstrecker, eine Leiche.
    Karl Fraul wälzte sich in seinem Gedankenmorast. Wieder und wieder kamen Wortreihen und flackernde Bilder aus der Tiefe des Schlafes, durch den der Rausch strömte. Auf fuhr er, um wiederum hinunterzuplumpsen, während es um ihn mit der Nacht zu Ende ging, der erste Linienbus fuhr bereits die Margaretenstraße hinauf.
    Als ich mittags zu Karl kam, saß er auf dem Bett, schweißspiegelnd sein Gesicht. Ich begann, Fenster zu öffnen, Flaschen wegzuräumen, Aschenbecher auszuleeren, Badewasser einzulassen. Die Wohnung roch nach Wirtshaus, am liebsten hätte ich zu wischen und zu saugen begonnen, doch dann wird er unleidlich, und ich wollte noch mit ihm spazieren gehen, was frühstücken und sonst Zeit mit ihm verbringen. Wiewohl ich spürte, wie verstimmt ich war, ging ich zu ihm hin, drückte ihn an seinen Schultern aufs Bett, zog ihm lächelnd die Jeans aus, in denen er geschlafen hatte, die Unterhose gleich mit, zerrte ihn dann hoch, klatschte ihm auf den Hintern und schubste ihn Richtung Badewanne. Während er dorthin taumelte, zog er sich noch das Leiberl über den Kopf, schmiss es ins Eck, von wo ich es aufklaubte und zur Schmutzwäsche tat.
    »Zu heiß«, schrie er aus der Wanne, »verdammt noch mal, Margit.«
    »Gerade richtig«, antwortete ich, fröhlich geworden. Nun holte ich doch den Staubsauger und fuhr herum. Als ich Karls Atem im Nacken spürte, er mich von hinten umfasste, konnte der Tag beginnen.
    Es war sein letzter Tag vor Probenbeginn zu Macbeth. In meinem Honda Jazz gings zum Lainzer Tor. Dort hinein und weiter, begannen wir an der Hermesvilla vorbeizumarschieren, um Richtung Rohrhaus zu wandern. Wir gingen an einer Wiese vorüber, an deren Ende zu unserem Erstaunen noch Parasole standen. Karl machte sich erbötig, im Dauerlauf zum Lainzer Tor zurückzukehren, sich dort irgendwo Tragtaschen – und seien es Plastiksackerln aus Geschäften – zu besorgen. Ich setzte mich inzwischen auf eine der Parkbänke neben der Wiese, um die Pilze unauffällig zu bewachen. So saß ich in der Sonne, und die Spaziergänger von links und rechts. Nach ein paar Minuten bereits ließ sich ein Mann neben mir nieder, schaute mich gelangweilt von der Seite an, und am Geräusch seines Atems konnte ich hören, wie angestrengt er bereits am Gambit arbeitete. Ich stand auf, schlenderte einige Schritte, spürte seinen Blick auf meinem Hintern, betrachtete die bunten Blätter auf den Bäumen des Wegrandes, drehte mich um und spazierte an der Bank vorbei. Der Mann erhob sich, kam auf mich zu und öffnete den Mund.
    »Reden Sie mich nicht an.«
    Er stand regungslos, ließ auch den Mund offen stehen und wartete, bis der Satz in seinen Ohren verschwunden war. Hernach presste er die Lippen aufeinander, verbeugte sich und ging davon. Ich setzte mich auf die Bank zurück. Als der nächste Mann sie ansteuerte, war Karl bereits im Ankeuchen, der Mann schaute ihm entgegen und ging an mir vorbei. Karl, mit zwei Plastiksackerln, setzte sich, legte sie mir in den Schoß und beschäftigte sich mit seinem
Atem. Ich küsste ihn, wartete, bis er ruhig wurde, und wir liefen in die Wiese hinein, ernteten, was wir mitnehmen konnten, kehrten um, trugen die Pilze aus dem Lainzer Tiergarten heraus und fuhren in meine Wohnung. Ich putzte, panierte und briet sie, während Herr Fraul im Wohnzimmer als Malcolm auf und ab ging.
    5.
    Wie jeden Donnerstag besuchte Edmund Fraul seine Mutter im Kaiserebersdorfer Pensionistenheim. Am späten Vormittag trat er ins kleine Zimmerchen, setzte sich neben die Dreiundneunzigjährige, nahm ihre ausgetrocknete Hand und verbrachte so eine Stunde, die er mit seiner Mutter einträchtig beschwieg. Zu Beginn dieser Stunde fragte er Franziska zwar noch aus: Das Essen. Die Geschehnisse. Die Gesundheit. Franziska gab Auskunft. Auch diesmal waren diese Themen nach einigen Minuten aufgebraucht. Während die Gefühle der beiden gewissermaßen eine gemeinsame Grenze hatten, flossen die Gedankenströme im jeweiligen Territorium in Talgründe, die voneinander entfernt lagen. Von Zeit zu Zeit sagte Franziska »Na ja«, von Zeit zu Zeit murmelte Edmund »Es geht schon, Mama«. Bevor er aufbrach, fragte er sie erneut nach dem Essen, dem Geschehen des
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