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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
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und einen cremefarbenen Polopullover, der um die Taille herum eng anliegt und die Aufmerksamkeit auf das zusätzliche Gewicht lenkt, das sie mit sich herumschleppt. Ich schätze sie auf etwa Mitte vierzig.
    Ich folge ihr in das Holzhäuschen, das kein Schuppen ist und eindeutig auch nie einer war. Dafür sieht das Holz zu neu aus, innen wie außen. Nichts weist darauf hin, dass hier je eine matschige Schaufel oder ein ölverschmierter Rasenmäher gestanden hätten. Eine Wand ist von oben bis unten mit gerahmten botanischen Drucken bedeckt, und in drei der vier Ecken des Raums stehen himmelblaue Vasen mit Blumen. Ein weißer Teppich mit einer breiten blauen Kante bedeckt den größten Teil des Holzfußbodens. Auf einer Seite des Raums steht ein bequemer Drehstuhl aus rotbraunem Leder mit Kopfstütze und passendem Fußschemel, auf der anderen ein braunes Antikledersofa und ein kleines Tischchen, auf dem sich Bücher und Zeitschriften über Hypnotherapie stapeln.
    Dieses letzte Detail ärgert mich, genau wie es mich ärgert, wenn ich beim Friseur einen Stapel Zeitschriften über Frisuren und nichts sonst finde. Es ist einfach zu aufdringlich. Muss ich mich wirklich derart intensiv mit haarigen Gedanken auseinandersetzen, während ich darauf warte, dass eine Jugendliche mit talgigem Teint meinen Kopf in ein Waschbecken rammt und kochendes Wasser darübergießt? Was ist, wenn ich gern etwas über den Aktienmarkt lesen würde oder das zeitgenössische Ballett? Zufälligerweise würde ich das nicht tun wollen, aber mein Einwand ist berechtigt.
    Hypnotherapie ist zugegebenermaßen marginal interessanter als Spliss (obwohl ich fairerweise zugeben muss, dass meine vierteljährlichen Besuche im »Salon 32« mich immer wieder davon überzeugen, dass hier tatsächlich eine Dienstleistung erbracht wurde).
    »Sie können sich die Bücher und Zeitschriften gerne ansehen«, sagt Ginny Saxon mit mehr Begeisterung, als gerechtfertigt ist. Sie spricht so, wie Medienleute sprechen. Ihr Akzent lässt sich nirgends verorten und verrät mir nicht, woher sie stammt. Nicht aus dem Culver Valley, wenn ich raten sollte. »Sie können sich gern so viele ausleihen, wie Sie wollen, wenn Sie sie wieder zurückbringen.« Entweder sie gibt sich viel Mühe mit ihrer Nummer, oder sie ist ein netter Mensch. Ich hoffe, sie ist nett. So nett, dass sie auch dann noch den Wunsch verspüren wird, mir zu helfen, wenn ihr klar geworden ist, dass ich nicht sonderlich nett bin.
    Es ist anstrengend, ständig so zu tun, als wäre man ein besserer Mensch, als man eigentlich ist.
    Ginny hält mir eine monatlich erscheinende Zeitschrift mit dem Titel Hypnotherapie hin. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie entgegenzunehmen. Die Zeitschrift klappt in der Mitte auf, ich lese eine Überschrift: »Hypnotherapeutische olfaktorische Konditionierung«. Was hatte ich erwartet? Die Frontalaufnahme einer hin- und herschwingenden Stoppuhr?
    »Setzen Sie sich doch«, sagt Ginny und deutet auf den Drehstuhl mit der verstellbaren Rückenlehne samt Fußschemel. »Tut mir leid, dass Sie eine Stunde warten mussten.«
    »Musste ich nicht«, teile ich ihr mit. »Ich bin Amber Hewerdine und habe einen Termin um drei. Die Frau dort draußen meinte, ich könne ihren Termin haben, sie würde nachher zurückkommen.«
    Ginny lächelt. »Und das war alles?«
    O Gott, bitte mach, dass sie nicht unser ganzes Gespräch mitangehört hat. Wie dick sind diese Holzwände? Wie laut waren wir?
    »Ich habe nichts gehört, keine Sorge. Aber nach dem wenigen zu urteilen, das ich von dieser Frau weiß, nehme ich an, dass sie noch mehr gesagt hat als das, was Sie eben wiedergegeben haben.«
    Keine Sorge? Was zum Teufel soll denn das bedeuten? Gestern Abend hatte ich Luke gefragt, ob er glaube, dass nur Leute sich als Hypnotherapeuten ausbilden lassen, denen es Spaß macht, das Gehirn anderer Leute zu manipulieren, und er lachte. »Gott helfe jedem, der das bei dir versuchen sollte.«
    »Ihre genauen Worte lauteten: Entweder ich komme um vier zurück – oder auch nicht«, erzähle ich Ginny.
    »Und Sie kamen sich vor wie eine Idiotin, weil Sie geblieben sind, oder? Entspannen Sie sich. Die Idiotin ist sie. Ich glaube nicht, dass sie wiederkommen wird. Letzte Woche hat sie sich auch schon gedrückt – sie hatte sich für ein Erstgespräch angemeldet und ist nicht aufgetaucht. Da sie den Termin nicht abgesagt hatte, habe ich ihr den vollen Betrag berechnet.«
    Sollte sie mir das alles erzählen? Ist das
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