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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf
Autoren: Sophie Hannah
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strahlendes Lächeln aufzusetzen und erfreute, erstaunte Laute von mir zu geben, wenn mir mal wieder jemand erzählt, wie wunderbar es bei ihm geklappt hat. »Probieren Sie es doch mal mit Hypnose«, sagen praktisch alle, die mir begegnen, von den Kollegen bis zu meinem Zahnarzt, den Eltern in der Schule und den Lehrerinnen der Mädchen. »Ich war ja zuerst sehr skeptisch, und ich bin nur hingegangen, weil es der letzte Ausweg war. Aber dann war es wie Zauberei – ich habe nie wieder Zigaretten/Wodka/Sahnetorten/ Wettscheine angerührt.«
    Mir ist aufgefallen, dass alle, die eine hochgradig unseriöse Lösung für ein Problem propagieren, stets betonen, wie skeptisch sie anfangs waren. Niemand verkündet: »Ich war und bin ein verzweifelter Idiot, ich würde wirklich alles glauben. Merkwürdigerweise hat Hypnose bei mir dann wirklich funktioniert.«
    Ich sitze im Auto an der Great Holling Road, vor dem Haus von Ginny Saxon, einer Hypnotherapeutin, die ich ziemlich zufällig ausgewählt habe. Na ja, vielleicht nicht ganz. Great Holling ist das schönste Dorf im Culver Valley. Wenn ich schon mein Geld zum Fenster rauswerfe, dann doch wenigstens in schöner Umgebung, dachte ich. Wenige Orte sind derart idyllisch, dass man sich nur herablassend über sie äußern kann – »eine Scheinwelt« oder »bevölkert von arroganten Arschlöchern«, sagen die Leute dann. So ist es fast zu einem Klischee geworden, über die idyllische Abgeschiedenheit von Great Holling die Nase zu rümpfen und sich für einen Wohnort mit etwas mehr Lärm und Dreck zu entscheiden, in dem zufälligerweise die Immobilienpreise niedriger sind. »Selbst wenn ich es mir leisten könnte, in Great Holling zu wohnen, ich würde dort nie hinziehen. Es ist einfach zu perfekt.« Ja, natürlich!
    Aber vielleicht sollte ich nicht so misstrauisch sein. Es gibt schließlich viele Leute, die genug Geld haben, es aber bewusst nicht dafür einsetzen, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Einige mir bekannte Volltrottel geben Quacksalbern ihr sauer verdientes Geld, um sich mesmerisieren zu lassen, in der Hoffnung, dass all ihre Probleme verschwunden sein werden, wenn sie wieder zu sich kommen.
    Ginny Saxons Adresse ist aber offensichtlich genauso ein Schwindel wie die von ihr angebotene Therapieform. Wie sich herausstellt, wohnt sie gar nicht in Great Holling. Ich bin extra hier rausgefahren, nur um festzustellen, dass es eine Vortäuschung falscher Tatsachen war – und nicht nur die alberne Placebo-Behandlung, die sie anbietet, meine ich. Wenn ich mir die Adresse etwas genauer angesehen hätte, wäre mir vielleicht die doppelte Portion Dorfnamen darin aufgefallen – Great Holling Road 77, Great Holling, Silsford. Ich befinde mich gar nicht in Great Holling, sondern auf der Landstraße, die dorthin führt. Auf einer Seite befinden sich Häuser, unter anderem das von Ginny Saxon, auf der anderen Seite graubraune, matschig aussehende Felder. Das ist Agrarland, das sich als Landleben tarnt. Auf einem der Felder steht ein Schuppen mit Wellblechdach. Es ist eine Landschaft, die mich an Gülle erinnert, obwohl das nicht nett sein mag und ich keine Gülle rieche.
    Du bist unfair. Was kann es schon schaden, ganz unvoreingenommen an die Sache heranzugehen? Vielleicht hilft es ja tatsächlich.
    Ich stöhne. Es wird wehtun, wenn diese Scharade, an der ich gleich teilnehmen werde, mich genauso zurücklässt, wie ich gekommen bin. Und es wird vermutlich schlimmer werden als bei allen anderen Versuchen, die ich bislang unternommen habe und die nicht geholfen haben. Hypnose ist für jeden der allerletzte Ausweg. Danach gibt es nichts mehr, was man noch versuchen könnte.
    Ich schaue auf die Uhr im Armaturenbrett. Punkt drei. Um drei habe ich meinen Termin, ich sollte jetzt reingehen. Aber es ist warm in meinem geheizten Renault Clio, und draußen ist es bitterkalt. Kein Schnee, nicht einmal die Art Schnee, die nicht liegen bleibt, aber jeden Abend kündigt die Wetterfrau des lokalen Nachrichtensenders mit immer größerer Schadenfreude in der Stimme Schneefall an.
    »Wenn ich bis drei gezählt habe …«, ich stelle mir vor, das in meiner besten tiefen, hypnotisierenden Stimme zu mir selbst zu sagen, »wirst du aussteigen, das Haus auf der anderen Straßenseite betreten und eine Stunde lang so tun, als wärst du in Trance. Du wirst der Scharlatanin einen Scheck über siebzig Pfund ausstellen. Es wird phantastisch werden.« Ich ziehe den Zettel mit den handgeschriebenen
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