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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes
Autoren: Hanns Kneifel
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muslimisch-jüdische Zwitterwesen! Ich hasse es, mir dies wieder und wieder ausmalen zu müssen.«
    Es gab eine kleine Pause, in der die Musik, die die ganze Zeit über im Hintergrund gespielt hatte, kurz verklang und nur das Plätschern des Brunnens zu hören war. Abu Lahab stellte den Becher hart auf die Marmorplatte des niedrigen Tischchens. Sein Arm fuhr in die Höhe, als wolle er etwas beschwören.
    »Es ist ohnehin ungerecht und furchtbar, dass die Juden im Abendland so viel Macht haben! Sie sind Ärzte, die Fürsten, Könige und selbst den Kaiser mit ihren Zaubereien heilen. Sie leihen den Fürsten Geld, sie rechnen und schreiben für die Könige und vergiften die Herzen der Mächtigen mit ihren abergläubischen Lügen und Versprechungen.« Abu Lahab ereiferte sich; seine Stimme wurde schrill. Er war bis hinaus in den Garten deutlich zu verstehen. »Sie haben über die ganze Welt ein Netz gesponnen! Jeder jüdische Imam – das sind ihre Rabbi-Priester! – schreibt jedem anderen Briefe ohne Unterlass.«
    »Davon habe ich, bei Allahs Weisheit, noch nie etwas gehört«, sagte Nadschib kopfschüttelnd. Abu Lahab starrte ihn zornig an.
    »Du nicht. Aber ich. Überall, wo meine Schwerter verkauft werden, weiß man, was die Juden treiben.«
    Es war keineswegs das erste Mal, dass Nadschib und Abdullah unbemerkt von Abu Lahab schweigend lange verständig-verzweifelte Blicke wechselten. Wieder einmal verwechselte Abu Lahab einen seiner Träume mit der Wirklichkeit. Ein weiterer seiner Träume handelte von Krieg. Allerdings träumte Abu Lahab nicht davon, dass er sich mutig und gut gepanzert auf einem Schimmel mit mehreren seiner kostbarsten Schwerter in die Schlacht stürzte, sondern wie er vom Krieg profitierte und Emir von Jerusalem wurde. Abu Lahab wollte Waffen verkaufen, Schwerter, Dolche und Messer, geschmiedete Pfeil- und Lanzenspitzen. Je mehr, desto besser, denn je mehr Verkäufe er tätigte, umso mehr Silber und Gold konnte er in seinen Ebenholztruhen horten.
    Weder Abdullah noch Nadschib erinnerten sich daran, dass Abu Lahab ben Taimiya jemals Ärger mit einem Juden gehabt hätte. Kein Jude hatte ihm je eine Münze streitig gemacht, sich in sein Geschäft eingemischt oder ihn als »geizigen Fettsack« oder »Sklavenschinder« beschimpft und beleidigt. Wahrscheinlich kannte Abu Lahab nicht einmal einen einzigen Juden. Dennoch hasste er Juden, so, wie er Sandstürme oder Fehlgüsse oder geldgierige Scheidenmacher hasste.
    Abdullah nahm einen tiefen Schluck und wartete auf die nächste Suada seines Dienstherrn.
    »Die Juden. Ich sag’s immer wieder«, begann Abu Lahab in gemäßigterem Ton, »die Juden mit ihrer Thora, dem Messias, der nie kommen wird, den seltsamen Riten, ihrem Geiz und ihrem Vermögen – sie verdienen am Zins mehr als ich mit ehrlicher, schweißtreibender Schufterei! –, mit dem Wein, mit dem sie sich berauschen und betäuben. Wenn wir hier ein paar von ihnen erschlagen, erfahren es die anderen in kurzer Zeit, und dann schicken sie ihre abendländischen Fürsten in den Krieg.« Er holte tief Luft und leerte den Becher, der duftenden roten Wein enthielt, lächelte erwartungsvoll und beendete seinen Vortrag. »Und dann wird sich eine Schlange bilden zwischen meiner Schmiede und dem Palast. Lauter aufrechte Muslime. Sie werden um Schwerter und Dolche betteln und jeden Preis dafür bezahlen.«
    »Allah straft die Wucherer, o Effendi«, sagte Nadschib. »Du redest dich um deinen Einlass ins Paradies.«
    Abu Lahab machte eine wegwerfende Bewegung, deutete mit dem leeren Becher auf Abdullah und sagte schroff: »Meine Wohltaten werden diesen kleinen Makel mehr als aufwiegen. Du, Abdullah, wirst deinen Männern befehlen, einige Juden in der Stadt zu überfallen. Sie sollen die Kerle erschlagen oder zumindest derart verwunden, dass sie um Hilfe schreien und später noch anderen von dem Überfall berichten können. Am besten wäre es, sie würden Briefe ins Abendland schreiben, in denen sie von ihrem Ungemach berichten.«
    Abdullah beugte sich vor, erhob sich halb von seinem weich gepolsterten Hocker und sagte entschlossen: »Ich tue alles, was du befiehlst, Effendi.
    Aber weder ich noch meine Männer werden einen einzigen Juden erschlagen.«
    »Dann werde ich wohl in Zukunft auf deine Dienste verzichten müssen«, sagte Abu Lahab scharf.
    Abdullah setzte sich wieder und erwiderte: »Du wirst in der Stadt niemanden finden, der einen Juden erschlägt, ohne dass er selbst von einem von ihnen
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