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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes
Autoren: Hanns Kneifel
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Tamariske den Abfluss verstopft. Ein schmalschultriger Mann kniete auf dem nassen Boden, schaufelte sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht und lallte etwas Undeutliches.
    Sean spürte Suleimans Hand an seinem Oberarm. »Warte!«, hauchte der Freund so leise wie möglich. »Sie sind hier irgendwo.«
    Sean nickte und verfolgte aufmerksam, wie die Gestalt immer wieder den Kopf in das Becken tauchte und sich dann prustend schüttelte. Der Stoffstreifen eines Turbans ringelte sich in wirren Windungen über das Pflaster bis zu dem Wurzelwerk eines Baums, das die Steinplatten durchbrochen hatte. Unendlich langsam wanderten Mondlicht und Schatten. Und ganz plötzlich, fast erschreckend für Suleiman und Sean, kamen zwei grauschwarze Gestalten aus verschiedenen Richtungen auf den knienden, schwankenden Mann zugerannt. Stoff wehte durch die Luft, ein Sack oder ein Tuch bedeckte innerhalb zweier Atemzüge Kopf und Schultern des Unglücklichen, dann hörte Sean einen dumpfen Schlag und einen weiteren, schwer zu deutenden Laut.
    Mit einem Mal war der Platz von einem aufgeregten Getümmel erfüllt. Hände rissen an Stoff. Körper klatschten dumpf auf die Steine. Metall klirrte, dann hörte Sean, wie eine Schneide Leder oder dicken Stoff zerschnitt.
    »Du von rechts«, hauchte Suleiman. »Ich von der anderen Seite.«
    Die beiden jungen Männer packten die Griffe ihrer gekrümmten Holzschwerter. Für einen Notfall hatte jeder von ihnen noch einen langen Dolch in einer Lederscheide an den linken Unterarm geschnallt, sodass sie die Waffen mit einem Ruck der Rechten ziehen konnten. Bisher hatten die Holzschwerter zwar immer ausgereicht, aber vielleicht würden sie eines Tages zu schärferen Waffen greifen müssen. Lautlos schwangen sie die Krummschwerter über ihren Köpfen und rauschten auf die Plünderer zu, während das leise Klirren von Münzen und die kaum lauteren Stimmen der Bösewichter in ihren Ohren klangen.
    Wie aus dem Nichts schnitten Seans und Suleimans Schwerter durch die Luft. Ihre breiten Seiten trafen Knie oder Schienbeine der Diebe. Zwei markerschütternde Schreie gellten durch die Nacht. Dann prasselten Hiebe auf Schultern und Arme der Halunken herab. Leises Knacken von brechenden Knochen war zu hören und einige Schmerzenslaute. Die beiden Räuber sprangen zur Seite, jaulten, wimmerten und verloren Dinge aus ihren Burnussen.
    »›Das Schwert, das die Armen schützt‹«, sagte Suleiman mit Grabesstimme, »verschont euch heute noch einmal.«
    Einer der Diebe hinkte, humpelte schwankend in die nächste Gasse hinein und zog eine dünne Spur aus Blutstropfen hinter sich her. Dem anderen schlug Sean mit der Gegenschneide seines Schwerts in den Nacken.
    »Wir kennen eure Namen«, rief er. »Beim nächsten Mal seid ihr des Todes.«
    Er riss das Schwert in die Höhe und ließ den zweiten Gauner entkommen. Ein gutes Dutzend Atemzüge später waren nur noch klatschende Sandalentritte zu hören und Schmerzenslaute, die die Flüchtenden ausstießen, wenn sie mit ihren lädierten Schultern gegen Mauervorsprünge oder Türen prallten. Der Bettler lag bewusstlos in einer Wasserlache, die immer größer wurde.
    »Was tun wir mit ihm?«, fragte Sean leise. Suleiman stieß eine Verwünschung aus und antwortete: »Bei Sonnenaufgang wird er wach. Die Dämonen des Alkohols tanzen in seinem Kopf. Er wird seine schäbigen Münzen finden und beschämt in sein Wohnloch zurück kriechen.«
    »Lassen wir ihn also liegen?«
    Suleiman zuckte mit den Schultern. »Selbst Allah ist der Schlaf heilig. Wer sind wir, diesem Gebot zuwiderzuhandeln?«
    Sean schob sein Schwert in die Scheide zurück. »Mein Schlaf mag nicht heilig sein«, sagte er, »aber ich brauche ihn dringend. Zeigst du mir den Heimweg?«
    »Blinder schottischer Christ«, antwortete Suleiman spöttisch. »Zum Haus meines Vaters ist es weit – darf ich bei euch nächtigen?«
    »Nichts leichter als das. Führe mich, o Werfer pergamentbeschwerter Steine«, entgegnete Sean und folgte Suleiman in die nächste finstere Schlucht zwischen Hauswänden. »Ich weiß nicht, wie weit es ist und ob wir in diesem Monat noch zurückfinden.«
    Suleiman lachte leise und gab zurück: »In einer Viertelstunde stehen wir vor der Tür des Hauses. Komm. Vertrau mir. Du weißt, ich habe die Augen einer Nachteule.«
    »Und manchmal glaube ich, du hast das Herz und den Verstand eines Fabeltiers, zusammengesetzt aus einem Falken, einer Schlange und einem störrischen Kamel. Du darfst trotzdem auf dem
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