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Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz
Autoren: John Boyne
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gar nicht vorgehabt, in den Spielzeugladen zu gehen. Er wollte nur durchs Fenster spähen, um auszukundschaften, was es dort gab – er hatte ja kein Geld, um etwas zu kaufen. Aber wenn man sich Sachen, die man sich nicht leisten konnte, nur anschaute, machte das ja nichts. Außerdem hätte er es besser gefunden, sich vorher zu versichern, dass nicht allzu viele Kunden im Laden waren, weil die ja merken könnten, dass er nicht von hier war, und dann womöglich die Dorfpolizei alarmieren würden.
    Aber es kam ihm vor, als wäre er irgendwie in den Laden gesaugt worden, ohne sich wirklich entscheiden zu können – als hätte er gar keine Kontrolle darüber gehabt. Das war komisch, aber da er nun schon mal hier war, beschloss er, sich einfach ein wenig umzuschauen.
    Als Erstes fiel ihm auf, wie still alles war. Es war aber ganz anders als die Stille, die er hörte, wenn er mitten in der Nacht aus einem schrecklichen Traum aufwachte. Wenn das passierte, dann drangen immer seltsame, nicht identifizierbare Geräusche in sein Zimmer, durch die winzigen Ritzen, wo die Fensterscheiben nicht richtig eingefügt waren, und er merkte dann, dass es draußen irgendwo Leben gab, auch wenn alles schlief. Es war eine Stille, die eigentlich gar keine war.
    Aber hier, im Laden, war es ganz anders. Hier war die Stille nicht einfach nur still, sondern die vollkommene Abwesenheit von Geräuschen.
    Noah war im Lauf seines Lebens schon in vielen Spielzeugläden gewesen. Immer, wenn seine Familie einen Einkaufstag einlegte, benahm er sich besonders vorbildlich, denn wenn er brav war, dann gingen seine Eltern mit ihm in einen Spielzeugladen, bevor sie wieder nach Hause fuhren, das wusste er. Und wenn er superbrav war, bestand sogar die Möglichkeit, dass ihm seine Eltern ein Geschenk kauften, obwohl er sie doch eigentlich an den Bettelstab brachte und sie sich keinen Luxus leisten konnten. Er meckerte dann nicht mal, wenn seine Mutter darauf bestand, dass er im Geschäft alle Hosen anprobierte, die es gab, bevor sie dann doch meistens die auswählte, die sie als erste aus dem Regal genommen hatte. Vor sieben Stunden. Er grinste fröhlich, als wäre Klamottenkaufen für einen achtjährigen Jungen das Schönste auf der Welt – dabei hätte er am liebsten laut geschrien, so laut, dass sämtliche Mauern des Einkaufszentrums eingestürzt wären. Und sämtliche Käufer und Verkäufer, sämtliche Kassen, Regale, Hemden und Krawatten, sämtliche Hosen und sämtliche Sockenpaare wären in der hintersten Ecke des Sonnensystems verschwunden, und man hätte nie wieder einen Pieps von ihnen zu hören bekommen.
    Aber dieser Laden hier war ganz anders als alle anderen, die er schon gesehen hatte. Noah blickte sich um, weil er herausfinden wollte, wodurch der Laden so anders war, und zuerst bekam er es nicht recht zu fassen.
    Aber auf einmal wusste er es.
    Der Unterschied zwischen diesem Spielzeugladen und allen anderen war, dass es hier überhaupt nichts aus Plastik gab. Alle Spielsachen, die er sah, waren aus Holz.
    Da waren Züge in den Regalen, rollende Waggons auf ellenlangen Gleisen, die von einem Ende des Ladens bis zum anderen gingen – alles aus Holz.
    Da waren marschierende Armeen, die in neue Länder und zu neuen Abenteuern aufbrachen, und diese Armeen bevölkerten sogar mehrere Verkaufstische – auch alles aus Holz.
    Da waren Häuser und Dörfer, Boote und Lastwagen, jedes Spielzeug, von dem ein erfindungsreicher Kopf wie seiner nur träumen konnte – und alles war aus echtem dunklem Holz hergestellt, das zu leuchten schien und von dem irgendwie ein leises Summen ausging.
    Eigentlich sahen die Sachen hier gar nicht aus wie Spielzeug, sondern wie etwas viel Wichtigeres. Alles, was Noah sah, war völlig neu und anders, und er hatte den Eindruck, dass dies der einzige Laden auf der Welt war, in dem diese speziellen Spielsachen verkauft wurden.
    Und fast alle waren kunstvoll angemalt – aber nicht mit einer normalen Farbe, wie Noahs Spielsachen zu Hause, bei denen die Oberfläche rissig wurde und die Farbe abblätterte, wenn man sie nur ein bisschen zu lang anschaute. Farben wie hier hatte er noch nie gesehen, er konnte sie nicht einmal beschreiben. Links von ihm stand zum Beispiel eine Holzuhr, und die war – tja, nicht richtig grün, nein, sie hatte eine Farbe, die war so, wie ein Grün gern wäre, wenn es ganz viel Phantasie hätte. Und da drüben, neben dem Bleistifthalter aus Holz, war ein hölzernes Brettspiel, dessen Hauptfarbe
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