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Der Junge mit dem Herz aus Holz

Der Junge mit dem Herz aus Holz

Titel: Der Junge mit dem Herz aus Holz
Autoren: John Boyne
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Leute mich sehen konnten. Aber damals war ich viel jünger als jetzt«, fügte er hinzu, »und ich war noch nicht sehr vernünftig.«
    »Was für eine reizende Geschichte«, sagte der Esel und rümpfte die Nase, um anzudeuten, dass ihn das alles nicht die Bohne interessierte.
    »Hat irgendjemand behauptet, dass meine Geschichte unüblich ist?«, fragte der Dackel, der schon wieder beleidigt war.
    »Na ja –
Sie
haben das behauptet«, entgegnete Noah. »Sie haben dauernd gesagt, es ist alles so spannend.«
    »Ach, aber das Beste hast du ja noch gar nicht gehört«, erwiderte der Dackel und ging jetzt vor lauter Begeisterung im Kreis um Noah herum. »Man glaubt es kaum, aber alle paar Tage ereignet sich etwas sehr Seltsames, was diesen Baum betrifft. Das Dorf geht schlafen, und der Baum sieht genauso aus wie jetzt. Und am nächsten Morgen, wenn wir aufwachen, sind ein paar Zweige nicht mehr dran. Aber sie sind spurlos verschwunden, nirgends ist auch nur ein Splitter von ihnen zu sehen. Und zwei, drei Tage später sind sie wieder nachgewachsen! Es ist unfassbar. Solche Dinge passieren meiner Meinung nach nur in –« Hier nannte er den Namen des zweiten Dorfs, durch das Noah heute Vormittag gekommen war. Dabei schüttelte es ihn, als bekäme er schon von der Erwähnung dieses fürchterlichen Ortes einen ekelhaften Geschmack auf der Zunge. »Aber bei uns kommt so was sonst überhaupt nicht vor.«
    »Wie ungewöhnlich!«, rief Noah.
    »Ja, nicht wahr? WUFF !«
    »Und der Laden. Er ist so schön bunt.«
    »Na klar, aber das versteht sich von allein. WUFF ! Es ist ein Spielzeugladen.«
    Noahs Augen wurden riesengroß. »Ein Spielzeugladen!«, rief er und schnappte nach Luft. »Das sind meine zwei Lieblingswörter!«
    »Meine nicht«, sagte der Dackel. »Ich mag ›ein‹ sehr gern, aber für ›Spielzeugladen‹ habe ich nicht viel übrig. Andererseits finde ich das Wort ›unverwüstlich‹ sehr schön. Die Fähigkeit, mit Problemen fertig zu werden, ohne unterzugehen. Ich glaube, über das Wort ›unverwüstlich‹ solltest du mal eine Weile nachdenken, junger Mann.«
    »Mir gefällt ›frischer Obstsalat‹«, sagte der Esel. »Zwei erstklassige Wörter.«
    »Ich habe aber keinen«, rief Noah, noch bevor die Frage gestellt werden konnte, und der Esel riss verdutzt die Augen auf. Einen Moment lang überlegte Noah, ob der Esel womöglich sogar in Erwägung zog, ihn, Noah, zu verspeisen.
    »Ich merke, du hörst mir nicht mehr richtig zu«, sagte der Dackel nach einer kurzen Pause. Er klang schon wieder beleidigt, während er mit den Zähnen seinen Schal enger um den Hals zog, weil der Wind kräftiger pustete und es allmählich abkühlte. »Da wollen wir dich lieber nicht länger aufhalten. Wir machen uns wieder auf den Weg. Ich wünsche dir einen schönen Tag, junger Mann.«
    »Ja, ich auch«, sagte der Esel und wandte sich seufzend ab.
    Noah verabschiedete sich ebenfalls. Er hätte vielleicht ein bisschen herzlicher reagieren können, dachte er hinterher, denn immerhin hatte ihm der Dackel sehr geholfen (und der hungrige Esel ebenfalls, wenn auch etwas weniger). Gleich darauf überquerte er die Straße, blieb vor dem Baum stehen und streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, aber ehe seine Finger die Rinde anfassen konnten, hörte er ein lautes Knurren und Fauchen, oder jedenfalls glaubte er es zu hören. Erschrocken zuckte er zurück. Das war kein klagendes Flüstern und Brummen wie bei dem Apfelbaum vom ersten Dorf; es klang viel gefährlicher – wie das wütende Knurren und Fauchen einer Tigerin, die ihre Jungen beschützt.
    Einen Moment lang – aber es war ein sehr kurzer Moment – dachte Noah an seine Eltern zu Hause und dass sie sich bestimmt große Sorgen machten, wenn sie feststellten, dass er weggelaufen war, was sie inzwischen bestimmt schon gemerkt hatten. Sie würden ihn natürlich nicht verstehen. Sie würden ihn egoistisch finden. Aber die Vorstellung, zu bleiben … und zu sehen, wie … Er zitterte. Nein, daran durfte er gar nicht denken.
    Er drehte sich von dem Baum weg und versuchte, seinen Vater und seine Mutter aus seinem Kopf zu vertreiben und sich lieber auf den Spielzeugladen zu konzentrieren.
    Und auf die Eingangstür.
    Und auf den Türgriff.
    Und ohne es richtig zu wollen, fasste er nach dem Türgriff, drehte ihn, öffnete die Tür, und ehe er sich’s versah, stand er schon mitten im Laden, und die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen.

Kapitel 4 Marionetten
    Eigentlich hatte Noah
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