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Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)

Titel: Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Autoren: Patricia Highsmith
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die Achseln. Jemand rief nach einem Bier, und sie wandte sich ab. »Ach, du weißt schon, wo du dir das hinstecken kannst!« rief sie einem anderen Gast fröhlich zu, während sie Bier zapfte.
    Tom dachte an Héloïse, an die geplante Reise nach Amerika. Diesmal sollten sie in den Norden fliegen, nach Neuengland, nach Boston: der Fischmarkt, die Independence Hall, Milk Street und Bread Street. Dort war er zu Hause gewesen, auch wenn er die Stadt heute wohl kaum wiedererkennen würde. Tante Dottie mit ihren widerwilligen 11,79-Dollar-Geschenken, damals noch in Form von Schecks, war gestorben und hatte ihm 10000 Dollar hinterlassen, nicht aber ihr muffiges Häuschen in Boston, das Tom gern gehabt hätte. Wenigstens konnte er Héloïse das Haus zeigen, in dem er aufgewachsen war, von außen jedenfalls. Da Dottie kinderlos gestorben war, dürften die Kinder der Schwester seiner Tante das Haus geerbt haben. Tom legte sieben Franc auf die Theke, für Kaffee und Zigaretten, warf dem Jungen in der blauen Jacke noch einen Blick zu und sah, daß auch er zahlte. Er drückte seine Zigarette aus, rief »’soir!« in die Runde und ging.
    Es war dunkel geworden. Im schwachen Licht einer Straßenlaterne überquerte er die Hauptstraße und betrat die noch dunklere Straße, an der ein paar hundert Meter weiter sein Haus lag – sie verlief fast gerade, war zweispurig und asphaltiert, und Tom kannte sie gut; dennoch war er froh, als sich von hinten ein Wagen näherte und er im Licht der Scheinwerfer die linke Straßenseite sehen konnte, auf der er ging. Kaum hatte das Auto ihn überholt, hörte er hinter sich schnelle, leise Schritte und fuhr herum.
    Die Gestalt trug eine Taschenlampe. Tom sah Jeans und Tennisschuhe: der Junge aus der Bar.
    »Mr. Ripley!«
    Tom fragte angespannt: »Ja?«
    »Guten Abend.« Der Junge blieb stehen, spielte mit der Taschenlampe herum. »Ich heiße Billy – Billy Rollins. Könnte ich Sie nach Hause begleiten, da ich doch eine Taschenlampe habe…?«
    Undeutlich konnte Tom ein kantiges Gesicht ausmachen, dunkle Augen. Der Junge war kleiner als er und hatte ihn höflich angesprochen. Sollte das hier ein Überfall werden, oder war er heute abend überängstlich? Tom hatte nur ein paar Zehnfrancscheine dabei, doch keine Lust auf ein Handgemenge. »Ich komme schon klar, danke. Wohne ganz in der Nähe.«
    »Ich weiß. – Na ja, wir haben denselben Weg.«
    Tom warf einen besorgten Blick in die Dunkelheit vor ihm und ging weiter. »Amerikaner?« fragte er.
    »Ja, Sir.« Der Junge leuchtete sorgsam so, daß beide sehen konnten, blickte aber mehr auf Tom als auf die Straße.
    Tom hielt Abstand von dem Jungen. Er war bereit: Die Hände hingen frei herunter. »Machst du hier Urlaub?«
    »Irgendwie schon. Ein bißchen arbeite ich auch. Als Gärtner.«
    »So? Wo denn?«
    »In Moret. Ein Privathaus.«
    Tom hoffte auf ein weiteres Auto – er wollte den Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen besser sehen können, weil er eine Spannung spürte, die gefährlich werden könnte. »Wo in Moret?«
    » Chez Madame Jeanne Boutin, Rue de Paris achtundsiebzig«, antwortete der Junge prompt. »Ihr Garten ist ziemlich groß. Obstbäume. Vor allem aber jäte ich Unkraut und mähe den Rasen.«
    Nervös ballte Tom die Fäuste. »Du schläfst in Moret?«
    »Ja. Madame Boutin hat ein kleines Gartenhaus. Ein Bett und ein Waschbecken. Kaltes Wasser, aber im Sommer geht’s schon.«
    Nun war Tom wirklich überrascht. »Ungewöhnlich für einen Amerikaner, aufs Land zu gehen statt nach Paris. Woher kommst du?«
    »New York.«
    »Und wie alt bist du?«
    »Bald neunzehn.«
    Tom hätte ihn für jünger gehalten. »Hast du eine Arbeitserlaubnis?« Zum ersten Mal sah er den Jungen lächeln. »Nein. Wir haben eine formlose Absprache – fünfzig Franc pro Tag. Ich weiß, das ist wenig, doch dafür läßt Madame Boutin mich frei wohnen. Einmal hat sie mich zum Lunch eingeladen. Natürlich kann ich mir Brot und Käse kaufen und in dem Häuschen essen. Oder in einem Café.«
    Aus der Gosse kam er nicht, das merkte Tom an seiner Wortwahl, und wie er Madame Boutins Namen aussprach, zeigte, daß er ein bißchen Französisch konnte. »Wie lange machst du das schon?« fragte er auf französisch.
    »Cinq, six jours«, erwiderte der Junge, den Blick noch immer auf Tom gerichtet.
    Tom war froh, als die hohe, zur Straße geneigte Ulme in Sicht kam: noch rund fünfzig Schritte bis zu seinem Haus. »Was hat dich in diesen Teil Frankreichs verschlagen?«
    »Ach,
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