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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
Autoren: Ravensburger
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todesmutig?
    Würdet ihr euch euren Ängsten stellen?
    Würdet ihr hineinspringen?
    Wahrscheinlich wisst ihr nicht, was ihr tun würdet. Jedenfalls nicht genau. Ihr könnt es auch nicht wissen. Das wisst ihr nämlich erst dann, wenn es so weit ist: wenn ihr am Rand des Piranha-Beckens steht und die Piranhas zu euch hochschauen und ihre Zähne zeigen. Aber es ist reizvoll, über diese Frage nachzudenken, stimmt’s?
    Und so übt Stan den ganzen Nachmittag mit Pancho. Er übt, den Atem anzuhalten. Er übt das Tanzen. Wieder und wieder stellt er sich seinem inneren Piranha. Er erinnert sich an seine exotische Kindheit am Amazonas und am Orinoko. Er fühlt die Hitze und den Regen, sieht die brennende Sonne und die Bäume, die so riesig sind wie die Säulen einer Kathedrale, und die Vögel, strahlend wie Juwelen. Er stellt sich vor, wie ihn die Schamanen des Regenwaldes mit geheimnisvollen Worten unterweisen.
    Er verbringt auch Zeit mit Dostojewski und Nitascha. Sie versichern ihm, dass heute der größte Tag seines Lebens sei. Sie werden kommen, werden ihm zuschauen, werden applaudieren und für ihn beten.
    „Ich habe schreckliche Angst“, gesteht Dostojewski, „aber ich bin auch furchtbar stolz auf dich, mein Jung. Wer hätte gedacht, wohin das alles führt? Damals, als du zum ersten Mal bei mir am Stand aufgetaucht bist?“
    Nitascha lächelt. „Du gibst mir das Gefühl, dass alles möglich ist, Stan“, sagt sie schüchtern. Dann hebt sie den Blick zum Mond, der am frühen Abendhimmel steht. Stan weiß, dass sie an eine schlanke Frau im fernen Sibirien denkt.
    Stan taucht die Hand in das Fischbecken. Er spürt die Flossen und den Schwanz des dreizehnten Fischs, den er gerettet hat. Auf seine Weise hat ihm dieser Fisch geholfen, sein ganz besonderes Talent zu entdecken. Dann geht Stan durch den dunkler werdenden Abend über den Jahrmarkt zu Pirelli und seinen Piranhas. Die Leute flüstern und raunen, wenn er vorbeigeht. „Das ist Stanley Potts. Ja! Der Stanley Potts.“ Stan winkt jenen zu, die seinen Namen rufen. Er errötet unter ihren anerkennenden Blicken. Er grinst über ihre ermunternden Worte. Sein Umhang flattert beim Gehen hinter ihm her.
    Die fünf Männer, die neben dem Grill Zum wilden Eber stehen und ihn beobachten, sieht er nicht.
    „Aha!“, sagt Clarence P. „Aha-ha-ha-ha-ha!“
    Er ist es, wer sonst? Er und seine Jungs. Inzwischen haben Clarence P. Klapp und seine Jungs so viel Fischigkeit gesehen, dass es ihnen für ein ganzes Leben reicht. Blamaböse Fischigkeit. Skandable Fischigkeit. Ohne Zweifel sind sie im Land der Sittenhaftigkeit und Lasterlosigkeit gelandet.
    „Aha-ha-ha-ha-ha-ha-ha!“, murmelt Clarence P.
    „Was is los, Chef?“, fragt Doug.
    „Ich hätte es wassen müssen“, sagt Clarence P. „Ich hätte daran danken müssen.“
    „An was?“, fragt Ted.
    „Daran, was davor steckt. Daran, was das Korn der Sache ist.“
    „Und was ist das?“, fragt Ted.
    „Das!“, sagt Clarence P. „Benehmt euch ganz normal. Guckt dahin, wo ich hingucke, und ihr blickt in den Augapfel des Bösen.“
    Die Jungs wirbeln herum und entdecken Stan in seinem flatternden Umhang.
    „Dieses Böse habt ihr schon einmal gesehen, Jungs“, sagt Clarence P. „Ihr mögt es vergossen haben, aber ich nicht. Clarence P. Klapp erinnert sich an alles. Immer. Unterall. Clarence P. Klapp lässt sich nicht herauslegen. Erinnert ihr euch noch an die Fischzuchtgasse?“
    „Klar, Chef“, murmeln die Jungs, obwohl Fred und Ted einen Blick wechseln und sich den Kopf kratzen.
    „Da war ein Junge – ich sage ,Junge‘, obwohl ich eigentümlich ,Monster‘ sagen sollte –, der uns entgangen ist, bevor wir das Haus erdonnerten. Und als wir ihn sahen, sahen wir in den Augapfel des Bösen.“
    „Ich erinner mich, Chef“, sagt Ted. „Es war schrecklich, Chef. Der reinste Alptraum, Chef.“
    „Gut gesagt, Ted“, sagt Fred.
    „Und jetzt ist der Alpentraum wieder da“, sagt Clarence P. „Diesmal trägt er einen hummelblauen Umhang.“
    „Aaarrrgggh!“, würgt Alf.
    „Darf ich ihm jetzt gleich die Fresse polieren, Chef?“, fragt Doug.
    „Nein, Doug“, sagt Clarence P. „Siehst du denn nicht, dass er an diesem Ort hier geliebt wird? Hörst du nicht, dass dieses fischige Volk ihn für die Nadel der Welt hält?“
    „Ja, Chef“, antwortet Doug.
    „Wir müssen den linken Zeitpunkt abwarten. Wir müssen auf die linke Gelegenheit warten. Aber wenn wir ihn bekriegen, dann bekriegen wir ihn richtig. Wir
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