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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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oder sie haben kaputte Knochen und nichts gespart, oder sie machen es wie der Mönch, der dort in gelben Tüchern friedlich auf der Mauer sitzt. Er schaut den Kämpfern zu, denn er ist selber mal Kämpfer gewesen, Profi, Lumpini-Champ (Kampfname: Tiger). Weil ihn dann die Welt zu nerven begann, hat er vor etwa dreizehn Jahren bei Buddha eingecheckt. Als ich ihn frage, welches Leben härter ist, das des Mönches oder das des Boxers, lacht er lange und laut. Er beruhigt sich wieder. «Mönch ist tausendmal härter», sagt er.
    «Er hat recht», sagt Thitipong Aumanun, der Besitzer des Boxstalls, und er sagt es, weil er ein guter Boxstallbesitzer ist. Die schlechten lassen ihre Boxer in den letzten drei Tagen vor dem Kampf bis zu zehn Kilo abschwitzen, damit sie ihre Gewichtsklasse halten. Zehn Kilo in drei Tagen. Nichts essen, nichts trinken, Schwitzanzug und endloses Joggen mit Begleitern, die sie auffangen, wenn sie umzufallen drohen. Gute Boxstallbesitzer machen das nicht. Für Thitipong Aumanun liegt die Grenze bei vier abzutrainierenden Kilo, und sein Mann, der heute abend antritt, braucht überhaupt nicht abzunehmen. Der hat Idealgewicht. Der kann die letzten drei Tage schlafen, soviel er will.
    Wie wir hören, ist er gerade aufgewacht. Kampfname: Den Toranee. Held der Erde, aber Erde nicht im Sinne von Planet, sondern von Acker. Er kommt aus den nordöstlichen Provinzen, ist fünfundzwanzig Jahre alt, hat hundertfünfzig Kämpfe hinter sich, von denen er hundertzweiundzwanzig gewann. Er war bereits Lumpini-Champ in seiner Gewichtsklasse, wurde geschlagen, gehört aber noch immer zur Top ten. Bis zum jetzigen Zeitpunkt seiner Karriere hat er sechshunderttausend Baht verdient, und davon hat er im Heimatdorf für seine Familie (landlose Bauern) einen Acker, ein Haus und ein Auto gekauft. Er hofft, noch zwei Jahre kämpfen zu können. Heute abend geht es um fünfzigtausend Baht.
     
    Lumpini-Stadion, am Abend, backstage. Die Boxer haben keine Kabinen. Irgendwo am Rand der Halle ist ihr Bereich, wo sie beten, sich umziehen und massieren lassen. Vier Masseure pro Mann. Akkordarbeit. Neun Kämpfe sind angesetzt. Die Boxer kommen und gehen. Mit ihnen Trainer, Freunde, Boxstallbesitzer. In der Luft liegt ein schwerer Teppich an Gerüchen. Billiges Kokosöl, teure Parfums, Zigaretten. Die Trommeln der Kampfmusik und die Schreie der Menge dringen aus der Arena. Und nur wenige Meter von mir entfernt verliert ein junger Boxer sein Gesicht.
    Er ist gerade von seinem Kampf zurückgekommen. Er hat ihn verloren. Er sitzt mit gesenktem Kopf auf einem der Massagetische und sieht regungslos zu Boden, während sein Boxstallbesitzer ihn zuerst ohrfeigt und beleidigt und dann mit der flachen Hand direkt auf den Mund zu schlagen beginnt. Der Boxstallbesitzer ist ein reicher Mann und trägt schwere Ringe an der Hand, mit der er schlägt. Alle hier erstarren, und keiner sieht den Boxer an, weil jeder Blick auf seine Schmach ihm noch ein Stückchen mehr Haut vom Gesicht ziehen würde.
    Guter Boß, schlechter Boß. Der gute steht neben mir und scherzt mit seinen Leuten. Aber Thitipong Aumanun hat auch gut lachen. Sein Mann hat gewonnen. «Held der Erde» kämpfte souverän, und alle, einschließlich seines Vaters, warten hier auf ihn. Er wird gerade genäht. Geplatzte Augenbraue. Also noch ein Grund zur Freude, denn das Stadion bezahlt dem Boxer pro Stich fünfhundert Baht Schmerzensgeld. Als er kommt, geht alles sehr schnell. Der Boß blättert ihm seinen Anteil von fünfundzwanzigtausend Baht in die Hand, die «Held der Erde» sofort und mit einer selbstverständlichen Bewegung an seinen Vater weitergibt. Draußen wartet ihr Wagen. Vier Tage frei. Sie werden die ganze Nacht durchfahren, bei Sonnenaufgang wird der Muay Thai wieder in seinem Dorf sein, wo man ihn liebt, achtet und ihm Autorität zuspricht. Und keiner mehr Feldratten ißt.
     
    Bangkok, nächster Abend, Bang Po Road. Das Leben ist ein unendlicher Fluß von gelben Taxilichtern. An seinem Ufer hat Ratanapol Sor Vorapin, achtundzwanzig Jahre alt, einen Nudelsuppenstand. Ich rede mit ihm über die häßliche Szene gestern im Lumpini-Stadion. Er sagt, wenn ein Muay Thai nach dem Kampf von seinem Promoter geschlagen wird, nennt man das die sechste Runde. Und hätte der Boxer den Kopf gehoben und protestiert oder sich gar gewehrt, wäre er heute nicht mehr am Leben. Auch er, der Nudelsuppenmann, wäre nicht mehr am Leben, wenn nicht der Godfather (Mafiaboß) seines Viertels ihn
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